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Letzte Ehre

Letzte Ehre

Titel: Letzte Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Richtung von Zimmer 815. Meine Hand zitterte, aber das schien ihm nicht aufzufallen. Er hatte sich herumgedreht, um den Flur hinter sich entlangzublicken.
    »Mr. Denton ist hier oben?«
    »Ja. Zumindest glaube ich, daß er es ist. Ich hatte den Eindruck, daß er nach dieser Frau sucht, aber sie ist kurz zuvor gegangen.«
    »Wo liegt denn das Problem?«
    »Das hat er nicht gesagt.«
    Er ließ das Walkie-talkie sinken. »Wie lange ist das her?«
    »Fünf Minuten. Ich kam gerade aus dem Aufzug, als sie einstieg.«
    Er hielt inne und starrte mich an, während er nach hinten griff und das Sprechgerät an seinem Gürtel befestigte. Sein Blick fiel auf meine Füße und wanderte dann wieder nach oben. »Diese Schuhe sind gegen die Vorschrift.«
    Ich sah zu meinen Füßen hinab. »Ehrlich? Das hat mir kein Mensch gesagt.«
    »Wenn Mrs. Spitz die sieht, bekommen Sie eine Abmahnung.«
    Mir brannte das ganze Gesicht. »Danke. Ich werd’s mir merken.«
    Er ging den Flur hinab. Ich stand wie angewurzelt da, sehnte mich danach zu fliehen, zögerte aber, mich zu bewegen, da ich fürchtete, Aufmerksamkeit zu erregen. Er klopfte an meine Tür. Ein Moment verstrich, dann wurde die Tür einen Spalt weit geöffnet. Der Wachmann besprach sich mit dem Mann in meinem Zimmer. Dann kam der Typ im Anzug heraus und zog meine Zimmertür hinter sich zu. Die beiden Männer gingen rasch den Flur hinab und auf die Aufzüge zu. Ich wartete, bis ich den Aufzug ping machen hörte, und holte dann den Matchsack aus seinem Versteck. Die Aufzugtüren hatten sich kaum geschlossen, als ich im Eiltempo den Flur hinabschritt, mein Zimmer betrat und die Kette vorlegte. Wie lange würde es dauern, bis sie herausfanden, daß Kinsey Millhone und das nicht vorschriftsmäßige Zimmermädchen ohne Namensschild ein und dieselbe Person waren?
    Ich griff nach unten und streifte hastig die Schuhe ab. Dann zog ich mir den roten Kittel über den Kopf, machte den Reißverschluß an meinem Uniformrock auf und ließ ihn fallen. Ich lehnte mich an die Wand, um meine Tennissocken anzuziehen. Ich packte meine Jeans, schlüpfte hinein und hüpfte, aus dem Gleichgewicht geraten, herum, als ich sie hochzog. Ich zerrte mir den Rollkragenpulli über den Kopf, schob die Füße wieder in die Schuhe und ließ die Schnürsenkel offen baumeln. Dann öffnete ich den Wandschrank. Meine Handtasche stand immer noch auf dem Boden, wo ich sie hingestellt hatte, aber es bedurfte nur eines einzigen Blicks, um festzustellen, daß der Typ im Anzug darin herumgewühlt hatte. Verdammter Mist. Ich riß den Blazer vom Kleiderbügel und wand mich hinein. Ich sah mich rasch im Zimmer um, um sicherzugehen, daß ich nichts zurückgelassen hatte. Ich erinnerte mich an das Fünf-Dollar-Trinkgeld in meiner Uniformtasche und nahm den Schein an mich. Dann packte ich den Matchsack und wollte mich schon davonmachen. Aber ich ging noch einmal zurück, schnappte mir die rote Uniform vom Fußboden und knüllte sie zu einer Kugel zusammen. Dann stopfte ich sie in das Reißverschlußfach des Matchsacks. Wenn sie noch einmal suchten, warum ihnen dann die Befriedigung gönnen, sie zu finden? Ich zog die Zimmertür hinter mir zu und ging teils gemächlich, teils eilig auf die Feuertreppe zu.
    Ich stieg acht Stockwerke hinab. Als ich an der Tür zur Hotelhalle angekommen war, öffnete ich sie einen Spalt weit und blickte hinaus. Ein kleiner Trupp Geschäftsleute hielt offenbar in einer der Sitzgruppen eine Spontanbesprechung ab. Papiere lagen auf dem Tisch verstreut. Ich spähte nach links hinüber. Ein Pärchen sprach mit einem Angestellten der Rezeption, der eine Landkarte der Umgebung in der Hand zu halten schien. Keine Spur von Mr. Denton oder dem Wachmann. Übrigens ebensowenig von Ray Rawson. Er hatte gesagt, er würde am Haustelefon auf mich warten, das ich auf der anderen Seite der Halle deutlich sehen konnte. Die Stelle war menschenleer, aber für meinen Geschmack zu exponiert.
    Ich sah nach rechts. Etwa anderthalb Meter entfernt stand eine Reihe Münztelefone und dahinter die »Knappen« und »Mägde«. Mir gegenüber zur Linken befand sich der Eingang zum Coffee Shop. Ich ließ die relative Sicherheit des Treppenhauses hinter mir, schlich den Flur entlang und in die Damentoilette. Zwei der fünf Kabinentüren waren abgeschlossen, doch als ich unter die Trennwände blickte, waren keine Füße zu sehen. Ich schloß mich in die Behindertentoilette ein, hockte mich auf den Toilettensitz und band mir die Schuhe zu.

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