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Letzte Ehre

Letzte Ehre

Titel: Letzte Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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dem »Zimmermädchen-anwesend«-Schild — für den Fall, daß sie ohne Vorwarnung zurückkam. Ich sah mich rasch um, um sicherzugehen, daß Zimmer und Badezimmer wie erwartet leer waren. Dann machte ich das Licht in der Ankleideecke an.
    Seit gestern waren weitere Toilettenartikel ausgepackt und ums Waschbecken herum angeordnet worden. Ich ging an den Wandschrank und öffnete die Tür. Der Matchsack stand noch da, wo ich ihn zuvor gesehen hatte, und ihre Handtasche direkt daneben. Ich zerrte den Matchsack aus dem Schrank und hievte ihn auf die Abstellfläche. Zuerst nahm ich eine oberflächliche Untersuchung vor, um sicherzugehen, daß die Tasche nicht mit irgendeiner versteckten Sprengladung präpariert war. Der Matchsack war aus strapazierfähigem beigem Segeltuch, vermutlich wasserdicht, mit dunklen Lederhenkeln und einer Seitentasche für Zeitschriften. An jedem Ende der Tasche gab es ein Fach mit Überklappe, in das man kleinere Gegenstände stecken konnte. Ich zog den Reißverschluß des großen Fachs auf und untersuchte mit halsbrecherischer Geschwindigkeit den Inhalt. Socken, Flanellschlafanzug, saubere Unterwäsche, Strumpfhose. Ich sah in die Fächer an beiden Enden, doch sie waren leer. Nichts in der Außentasche. Vielleicht hatte sie das Geld herausgenommen und woanders untergebracht. Ich sah auf die Uhr: 10.19 Uhr. Ich hatte schätzungsweise noch gut drei Minuten.
    Ich stellte den Matchsack zurück und nahm ihre Handtasche, deren Inhalt ich durchsuchte. In ihrer Brieftasche steckte ein Führerschein aus Kentucky, verschiedene Kreditkarten, mehrere Identitätsnachweise und vielleicht hundert Dollar Bargeld. Ich stellte die Handtasche wieder neben den Matchsack. Um wieviel Geld ging es wohl, und wieviel Platz konnte es in Anspruch nehmen? Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und untersuchte das Einlegebrett im Wandschrank, das sich leer anfühlte. Ich faßte in die Taschen ihres Regenmantels und ließ schließlich eine Hand in die Taschen des Jeanskleids gleiten, das sie getragen hatte und das nun neben dem Regenmantel hing. Ich sah im Schränkchen unter dem Waschbecken nach, aber es enthielt weiter nichts als Wasserrohre und ein Absperrventil. Ich betrachtete kurz die Duschkabine und den Spülkasten der Toilette. Dann ging ich in den Hauptraum, wo ich eine Schublade nach der anderen aufzog. Alle waren leer. Nichts im Fernsehschrank. Nichts im Nachttisch.
    Plötzlich klingelte das Telefon. Einmal. Dann Stille.
    Mein Herz begann zu hämmern. Laura Huckaby war auf dem Weg nach oben. Mir ging die Zeit aus. Ich trat an den Schreibtisch und zog die Stiftablage heraus, um nachzusehen, ob etwas daruntergeklebt worden war. Ich ließ mich auf alle viere hinab und spähte unter die Betten; dann zog ich die Tagesdecke zurück und hob eine Ecke der Matratze des nächstgelegenen Betts. Fehlanzeige. Ich versuchte es beim anderen Bett, indem ich den Arm zwischen Matratze und Sprungfedern schob. Dann richtete ich mich wieder auf und strich die Bettdecken glatt. Schließlich durchsuchte ich den Matchsack noch einmal, wühlte mich durch das Gewirr aus Kleidungsstücken und fragte mich, was ich übersehen hatte. Vielleicht gab es innerhalb des ersten Reißverschlußfachs noch ein zweites. Ach, zum Teufel damit. Ich schnappte mir den Matchsack und ging zur Tür. Ich riß das »Zimmermädchen-anwesend«-Schild vom Türknauf und zog hinter mir die Tür zu. Ich hörte, wie der Aufzug ping machte und dann das Geräusch der sich öffnenden Türen. Hastig schob ich den Matchsack unter einen Stapel sauberer Bettwäsche und begann den Karren den Flur entlangzuschieben.
    Laura Huckaby ging eiligen Schritts an mir vorüber. Sie hatte einen Zimmerschlüssel in der Hand, so daß ihre Fahrt nach unten zumindest nicht völlig umsonst gewesen war. Diesmal würdigte sie mich keines Blickes. Sie schloß ihre Zimmertür auf und knallte sie hinter sich zu. Ich schob den Karren in die Nische am Ende des Korridors, zog den Matchsack heraus und eilte auf den Feuerausgang zu. Dann drängte ich mich ins Treppenhaus und begann, im Laufschritt nach unten zu rasen, wobei ich jede zweite Stufe übersprang. Wenn Laura Huckaby überhaupt Verdacht geschöpft hatte, würde sie nicht lange brauchen, bis sie die leichte Unordnung bemerkte. Ich malte mir aus, wie sie schnurstracks auf den Wandschrank zuging und ihre Dummheit verfluchte, wenn sie sah, daß der Matchsack fehlte. Sie mußte wissen, daß sie hereingelegt worden war. Ob sie dann Stunk machte oder

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