Letzte Ehre
roch medizinisch, der gleiche Duft, der in einer Notaufnahme vorherrscht, eine Zusammensetzung aus gleichen Teilen Alkohol, Verbandsmaterial und chirurgischem Nähzeug. Er hielt mich immer noch mit seiner verletzten Hand umklammert, wobei seine geschienten Finger steif abstanden.
»Wo ich gewesen bin? Wo sind Sie gewesen?« Unsere Stimmen hallten im Treppenhaus wider wie das Kreischen einer Vogelschar. Wir blickten beide nach oben und senkten unsere Lautstärke auf heiseres Flüstern. Ray drängte mich in die Nische, den der letzte Treppenabsatz dort bildete, wo die Stufen an der Wand endeten.
»Herrgott, diese Typen sind hinter Ihnen her«, zischte er. »Irgend so ein Heini mit einem Walkie-talkie hat mich massiv ins Verhör genommen. Ich warte am Haustelefon, und er fragt mich, ob ich etwas dagegen hätte, >kurz ins Büro zu kommen<. Was hätte ich denn machen sollen? Er weiß, wer Sie sind, und er will wissen, was Sie hier tun.«
»Weshalb hat er Sie gefragt?«
»Er hat sich umgehört. Die Kellnerin muß ihm gesagt haben, daß sie uns zusammen gesehen hat. Es war nicht schwer, mich ausfindig zu machen. Mit einer solchen Visage? Ich habe ihm gesagt, daß Sie Privatdetektivin seien und verdeckt an einem Fall arbeiten, über den ich nicht sprechen dürfte.«
»Für wen hat er Sie denn gehalten, für einen Polizisten?«
»Ich habe ihm erzählt, daß ich im Zuge eines Zeugenschutzprogramms in einen anderen Bundesstaat gebracht werden solle. Ich mußte es so darstellen, als wäre alles streng geheim und ginge um Leben und Tod.«
»Das können sie Ihnen nicht abgenommen haben. Wie haben Sie sich losgeeist?«
»Es ist ihnen scheißegal, wer ich bin. Sie wollen mich nur loswerden. Ich habe gesagt, ich würde in mein Zimmer hinauffahren und meine Sachen holen. Dann haben sie mich zum Aufzug begleitet, und sowie sie mich allein ließen, habe ich mich umgedreht und bin wieder nach unten gefahren. Ist das der Matchsack? Geben Sie her.«
Ich riß ihn aus seiner Reichweite. »Hören Sie mal, Sie Komiker. Schwören Sie auf einen Stapel Bibeln, daß Sie mir die Wahrheit gesagt haben? Suchen wir wirklich nach Bargeld und nicht nach Drogen oder Diamanten oder gestohlenen Dokumenten, hm?«
»Es ist Geld. Ich schwöre es. Sie haben es nicht gefunden?«
»Ich habe überhaupt nichts gefunden. Um wieviel geht es eigentlich?«
»Achttausend Dollar, mittlerweile vielleicht ein bißchen weniger.«
»Das ist alles ?«
»Kommen Sie. Das ist eine Menge, wenn man keinen Cent hat, so wie ich.«
»Irgendwie hatte ich den Eindruck, daß es mehr sei«, sagte ich.
Unsere Stimmen hatten wieder zu hallen begonnen. Er legte sich einen Finger auf die Lippen.
»Woher stammt denn das Geld?« flüsterte ich heiser.
»Das sage ich Ihnen später. Sehen wir erst mal zu, daß wir einen Weg hier herausfinden.«
»Unter diesem Flur verläuft ein Betriebskorridor, aber er ist von hier aus nicht zugänglich«, erklärte ich.
»Wie wär’s mit dem Stockwerk darüber?«
»Das wird nicht gehen.« Er begann die Stufen hinaufzusteigen, aber ich packte ihn am Arm. »Moment mal. Immer mit der Ruhe. Wir brauchen einen Plan.«
»Wir brauchen das Geld«, korrigierte er mich, »bevor uns das Wachpersonal wieder auf den Fersen ist. Vielleicht hat diese Huckaby das Geld ja bei der Geschäftsleitung deponiert.«
»Das kann nicht sein. Ich stand mit ihr in der Schlange, als sie sich hier eingetragen hat. Sie hat keine Wertsachen deponiert. Das hätte ich gesehen.«
»Wo ist es dann? Sie wird das Geld nicht aus den Augen lassen. Wenn wir herausfinden, wo sie es hat, können Sie es sich schnappen und abhauen.«
»Oh, ich kann das? Das ist ja reizend. Und was ist mit Ihnen?«
»Ich habe bildlich gesprochen«, meinte er.
»Jedenfalls ist das Geld nicht in ihrem Zimmer, denn das habe ich durchsucht.«
»Dann muß sie es bei sich haben.«
»Hat sie nicht. Das habe ich Ihnen doch gesagt. Ah!« Ich vernahm das Geräusch, das ein Einfall auslöst, wenn das Gehirn zündet, eine winzige Implosion, wie eine spontane Selbstentzündung an der Schädelbasis. »Moment mal. Ich hab’s. Ich glaube, ich weiß, wo es ist.«
Ich klopfte an Laura Huckabys Tür. Eine Weile geschah gar nichts. Vermutlich blickte sie durch den Spion, um zu sehen, wer es war. Ray stand links von der Tür an der Wand und trug einen gequälten Gesichtsausdruck zur Schau. »Ich weiß, woher Gilbert das Datum meiner Haftentlassung kannte«, sagte er tonlos. »Ich wollte es Ihnen eigentlich
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