Letzte Ehre
nur im Notfall sagen.«
»Still«, sagte ich ganz leise. Ich hatte keine Ahnung, wo sein Problem lag — vom Offensichtlichen abgesehen. Er hatte sich auffällig heftig dagegengestemmt, mit mir hier heraufzukommen, und alle möglichen Gründe dafür angeführt, daß ich es allein tun sollte. Ich war unerbittlich gewesen. Zum einen konnten wir ja, wenn wir erwischt wurden, so tun, als gingen wir gerade. Und zum anderen wollte ich jetzt, da Chester erbost war, nicht die alleinige Verantwortung auf mich nehmen. Wie zuvor öffnete Laura die Tür einen Spalt breit und ließ die Kette vorgelegt.
Ich hielt ihr den Matchsack entgegen. »Hi, ich bin’s. Ich bin gerade nicht im Dienst. Ich habe das hier in der Hotelhalle gefunden.«
»Ist das meiner?«
»Ich glaube schon. Lag er nicht gestern abend in Ihrem Wandschrank?«
»Wie ist er denn von dort verschwunden?«
»Keine Ahnung. Ich habe ihn im Vorübergehen gesehen und dachte, ich klopfe mal bei Ihnen«, sagte ich. »Es ist doch Ihrer, oder nicht?«
Sie musterte ihn rasch. »Einen Moment bitte. Ich sehe mal nach.« Sie ließ die Tür offenstehen, nach wie vor durch die Kette gesichert, während sie in die Ankleideecke ging und den Schrank aufmachte. Ray und ich wechselten einen Blick. Ich wußte, daß sie ihren Matchsack nicht finden würde, wartete aber pflichtbewußt und spielte die Farce bis zum Ende mit. Mit verblüffter Miene kam sie wieder an die Tür. »Es muß wohl meiner sein.« Es war offensichtlich, daß sie mir kein Vertrauen schenken wollte, aber was blieb ihr schon anderes übrig? Aus ihrer Sicht war sie zum Opfer unerklärlicher Ereignisse geworden. Ein verschwundener Schlüssel, ein fehlendes Päckchen und jetzt der wandernde Matchsack.
»Ich kann ihn hier draußen abstellen. Soll ich das tun?«
»Nein, ist schon in Ordnung.« Sie schloß die Tür und ließ die Kette aus der Schiene gleiten. Dann öffnete sie die Tür exakt so weit, daß der Matchsack hindurchpaßte, und streckte die Hand aus, als wolle sie ihn mir abnehmen. Ich legte eine Hand um die Türkante und hinderte sie so daran, die Tür zu schließen.
Die Geste schien sie zu überrumpeln, und sie sagte gereizt: »He!«
Ich hoffte, daß mein Lächeln beruhigend wirkte. »Darf ich hereinkommen? Wir müssen uns unterhalten.« Ich drückte die Tür auf.
»Verschwinden Sie«, sagte sie und drückte dagegen.
Wir kämpften um die Tür, aber inzwischen hatte sich Ray eingeschaltet, und sie gab nach wortlosem Ringen auf. Langsam wurde ihr klar, daß etwas ganz massiv im argen lag.
»Mein Name ist Kinsey Millhone«, sagte ich, als wir das Zimmer betraten. »Und das ist mein Freund Ray.«
Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete Rays verletztes und geschwollenes Gesicht. »Was soll das?«
»Wir haben eine Besprechung über das Geld einberufen«, sagte ich nur. »Nur zwischen Ihnen, mir und ihm.«
Sie wirbelte herum und eilte hastig auf den Nachttisch zu, wo sie den Telefonhörer packte. Ray fing sie ab und drückte auf die Gabel, bevor sie » 0 « wählen konnte.
»Immer mit der Ruhe. Wir wollen nur mit Ihnen reden«, sagte er. Er nahm ihr den Hörer aus der Hand und legte ihn auf den Apparat zurück.
»Wer sind Sie? Was soll das Ganze; wollen Sie mich erpressen?«
»Ganz und gar nicht«, sagte ich. »Wir sind Ihnen von Kalifornien aus gefolgt. Ihr Freund Gilbert hat Geld gestohlen, und Ray möchte es gern zurückhaben.«
Ihr Blick heftete sich zuerst auf mich und wechselte dann ruckartig zu ihm, während sie zu begreifen begann. »Sie sind Ray Rawson.«
»Genau.«
Sie ließ eine Hand nach oben schnellen, als wollte sie ihn ins Gesicht schlagen. Ray hielt sie in der Bewegung auf und bekam den Schlag auf den Arm. Mit seiner heilen Hand packte er sie am Handgelenk. »Laß das«, sagte er.
»Nimm deine dreckigen Pfoten von mir.«
»Gib uns einfach das Geld, dann lassen wir dich in Ruhe.«
»Es gehört nicht dir. Es gehört Gilbert.«
Ray schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Die Kohle gehört mir und einem Mann namens Johnny Lee. Johnny ist vor vier Monaten gestorben, also gebe ich seinen Anteil an seinen Sohn und seinen Enkel weiter. Gilbert hat versucht, uns übers Ohr zu hauen.«
»Du verdammter Scheißkerl! Das stimmt nicht! Das Geld gehört ihm, und das weißt du ganz genau. Du bist derjenige, der gesungen hat. Sein Bruder ist deinetwegen ums Leben gekommen.«
»Das ist doch Schwachsinn. Hat er das behauptet?«
»Ähm — ja. Er hat mir gesagt, es sei irgendein Trick
Weitere Kostenlose Bücher