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Letzte Ehre

Letzte Ehre

Titel: Letzte Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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gewesen und daß das Ganze abgekartet war. Du hast den Bullen einen Tip gegeben, und Donnie ist bei der Schießerei getötet worden«, sagte sie.
    »Moment mal, Leute. Was wird hier eigentlich gespielt?« sagte ich.
    Ray gab sich ungerührt und ignorierte mich vollkommen, während er sich auf sie konzentrierte. »Er hat dich angelogen. Das mußte er wahrscheinlich tun, damit du mitmachst, stimmt’s? Denn wenn du die Wahrheit wüßtest, würdest du ihm nicht helfen. Hoffe ich.«
    »Du Arschloch. Er hat mir schon gesagt, daß du genau das versuchen würdest: die Wahrheit so lange verdrehen, bis sie dir in den Kram paßt.«
    »Du willst die Wahrheit wissen? Ich sage sie dir. Möchtest du hören, was passiert ist?«
    Sie hielt sich die Ohren zu, als wolle sie ihn aussperren. »Das brauche ich mir nicht anzuhören. Gilbert hat mir gesagt, was passiert ist.«
    Ich hob die Hand. »Würde mir bitte mal einer von euch erklären, worum es hier geht? Kennt ihr euch?«
    »Nicht direkt«, sagte Ray. Er wandte sich um, um sie anzusehen, und die Blicke der beiden verhakten sich ineinander. Rays Blick wanderte wieder zu mir. »Sie ist meine Tochter. Ich habe sie seit Jahren nicht mehr gesehen.«
    Sie stürzte sich auf ihn und hämmerte mit den Fäusten auf seine Brust. »Du bist ein solches Dreckschwein«, schrie sie und brach unvermittelt in Tränen aus.
    Ich sah vom einen zum anderen. Zwar stand ich nicht mit offenem Mund da, aber es fühlte sich so an.
    Ray nahm sie in die Arme. »Ich weiß, Baby, ich weiß«, murmelte er und tätschelte sie. »Ich habe ein so schlechtes Gewissen wegen alledem.«
    Es dauerte vermutlich weitere fünf oder sechs Minuten, bis Lauras Tränen versiegten. Ihr Gesicht war an seine Schulter gepreßt, wobei ihr gewölbter Bauch die Umarmung linkisch aussehen ließ. Ray hatte seine zerschlagene Wange auf ihr wirres Haar gebettet, das sich mittlerweile zum größten Teil gelöst hatte und in dunklen, kastanienbraunen Klumpen herabhing. Ray quoll angesichts ihrer geräuschvollen Unglücksäußerung, die sie mit einem kindlichen Mangel an Zurückhaltung auszudrücken verstand, beinahe über vor Zerknirschtheit. Keiner von beiden war an den körperlichen Kontakt gewöhnt, und ich hatte den Verdacht, daß die vorübergehende Verbindung keineswegs eine Lösung bedeutete. Wenn ihre Entfremdung ein Leben lang gedauert hatte, bedurfte es mehr als eines Bilderbuch-Moments, um alles in Ordnung zu bringen. Unterdessen verdrängte ich jeglichen Gedanken an meine Cousine Tasha und meine Entfremdung von meiner Großmutter.
    Ich ging ans Lenster und sah auf den kahlen Streifen texani-scher Landschaft hinaus. Ich fühlte mich genauso trocken. Ebenso wie in Kalifornien war auch hier die großzügige Verwendung importierten Wassers das einzige Mittel, durch das der Wüste Land abgerungen werden konnte. Wenigstens verstand ich jetzt, warum er nicht mit nach oben kommen wollte. Er muß den Moment gefürchtet haben, in dem sie sich gegenüberstehen würden, vor allem, nachdem er begriffen hatte, wie Gilbert Hays sie benutzt hatte. Warum müssen die rührendsten Momente im Leben so oft auch die deprimierendsten sein?
    Hinter mir schien das Weinen langsam nachzulassen. Sie sprachen im Murmelton miteinander, und ich hörte höflich weg. Als ich mich wieder umwandte, saßen die beiden Seite an Seite auf einem der Doppelbetten. Lauras Tränen hatten sich in Streifen durch die vielen Schichten Make-up gegraben und alte Blutergüsse zum Vorschein gebracht. Es war eindeutig, daß sie erst kürzlich ein blaues Auge gehabt hatte. Ihr Kiefer war in einem Mattgrün gefärbt, das zu den Rändern hin gelb wurde, Farben, die sich in den frischeren Verletzungen im Gesicht ihres Vaters wiederholten. Seltsamer Gedanke, daß derselbe Mann sie beide geschlagen hatte. Er musterte ihr Gesicht, und das verfehlte seine Wirkung nicht. »Hat er dir das angetan? Denn wenn er es war, dann bringe ich ihn um, das schwöre ich bei Gott.«
    »Es war nicht so«, sagte sie.
    »Es war nicht so. Schwach sinn.«
    Ihre Augen flossen erneut über. Ich ging in die Ankleideecke und holte ein paar Papiertaschentücher. Als ich zum Bett zurückkam, nahm mir Ray den Packen ab und reichte ihr die Tücher. Sie schneuzte sich und sah mich dann vorwurfsvoll an. »Sie sind gar nicht das Zimmermädchen«, sagte sie zornig. »Sie haben nicht einmal die Betten richtig gemacht.«
    »Ich bin Privatdetektivin.«
    »Ich wußte doch, daß einem in diesem Hotel nicht das Bett

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