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Letzte Ehre

Letzte Ehre

Titel: Letzte Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Reisetasche vom Förderband und drängte sich durch die Menge auf den Korridor zu. Lange bevor er vorüberkam, wandte ich mich ab, da ich mir bewußt war, daß jede plötzliche Bewegung seine Aufmerksamkeit erregen könnte. Auf dem Weg zur Rolltreppe trat er zur Seite und hockte sich hin, zog den Reißverschluß seiner Reisetasche auf und entnahm ihr eine Handfeuerwaffe von beachtlicher Größe, auf die er einen Schalldämpfer aufschraubte. Mehrere Leute sahen hinab und bemerkten, was er tat, aber sie kümmerten sich weiter um ihre Angelegenheiten, als wäre es nichts Besonderes. Für sie sah er offenbar nicht wie ein Mann aus, der inmitten einer Menschenmenge losballerte und jeden in Reichweite niedermähte. Er steckte sich die Pistole in den Gürtel und zog die Jeansjacke darüber.
    Er setzte seinen Stetson gerade, zog den Reißverschluß an seiner Tasche wieder zu und spazierte gemächlich zur Autovermietung hinüber. Er hatte eindeutig keine Reservierung, da ich ihn erst bei Budget nachfragen und dann zu Avis weitergehen sah. Ich entdeckte eine Reihe Telefone und suchte mir den einzigen freien Apparat unter den fünfen. Dann quetschte ich einen Vierteldollar in den Schlitz und wählte die Nummer des Desert Castle. Ich drehte mich um und musterte meine unmittelbare Umgebung, aber es war niemand vom Flughafen-Wachpersonal zu sehen.
    »Desert Castle. Wen möchten Sie sprechen?«
    »Könnten Sie in Laura Hudsons Zimmer anrufen? Es ist Nummer 1236«, bat ich.
    Bei Laura war besetzt. Ich wartete, bis sich die Vermittlung wieder einschaltete, aber die Angestellte hatte offensichtlich ihren Platz verlassen und eine Stellung bei einem Arbeitgeber in einem anderen Bundesstaat angetreten. Ich drückte auf die Gabel und fing noch einmal von vorne an, wobei ich meinen letzten wertvollen Vierteldollar dafür ausgab, es noch einmal im Hotel zu versuchen.
    »Desert Castle. Wen möchten Sie sprechen?«
    »Hallo, ich versuche, Laura Hudson auf Nummer 1236 zu erreichen, aber bei ihr ist besetzt. Können Sie mir sagen, ob Ray Rawson noch bei Ihnen wohnt?«
    »Einen Moment, bitte.« Sie klickte sich aus der Leitung. Totenstille. Dann klickte sie sich wieder ein. »Ja, Ma’am. Soll ich in seinem Zimmer anrufen?«
    »Ja, aber würden Sie sich bitte wieder melden, wenn er nicht abnimmt?«
    »Gewiß.«
    Das Telefon in Rays Zimmer klingelte fünfzehnmal, bevor sie sich wieder einschaltete. »Mr. Rawson meldet sich nicht. Möchten Sie eine Nachricht hinterlassen?«
    »Ist es irgendwie möglich, ihn statt dessen ausrufen zu lassen?«
    »Nein, Ma’am. Tut mir leid. Hatten Sie noch irgendein anderes Anliegen, bei dem ich Ihnen behilflich sein könnte?«
    »Ich glaube nicht. Oder doch, Moment mal. Könnten Sie mich mit dem Geschäftsführer verbinden?«
    Sie hatte aufgelegt, bevor ich meinen Satz zu Ende gesprochen hatte.
    Mittlerweile floß so viel Adrenalin durch meinen Körper, daß ich kaum noch atmen konnte. Gilbert Hays stand am Schalter von Avis und füllte Formulare aus. Er schien eine dieser bunten, faltbaren Landkarten der Umgebung zu konsultieren, wobei sich die Schalterdame hilfsbereit zu ihm hinüberlehnte und ihm den Weg zeigte. Ich fuhr mit der Rolltreppe nach unten.
    Draußen waren mittlerweile die Lichter angegangen, die jedoch die Düsternis des Abholplatzes nur zum Teil vertreiben konnten. Eine Luxuslimousine hielt vor mir am Randstein, der uniformierte weiße Chauffeur kam herüber zur Tür auf der Beifahrerseite und half einem silberhaarigen Paar beim Aussteigen. Die Frau trug einen Pelz von einem Tier, das ich noch nie gesehen hatte. Sie sah sich besorgt um, als sei sie daran gewöhnt, Beleidigungen abwehren zu müssen. Der Chauffeur holte ihr Gepäck aus dem Kofferraum. Ich musterte die Umgebung und hielt Ausschau nach der Flughafenpolizei. Licht und Schatten spielten in sich schablonenhaft wiederholenden Mustern über den Beton. Aufgrund der Architektur des Gebäudes war ein Windkanal entstanden, durch den ein dieselgeschwängerter Luftstrom fegte, erzeugt vom ständigen Ansturm des Durchgangsverkehrs. Ich sah keinen der Kleinbusse vom Hotel. Ebensowenig konnte ich einen Taxistand oder vorbeifahrende Taxis entdecken. Gilbert hatte wahrscheinlich bereits die Schlüssel zu seinem Mietwagen erhalten. Er würde hinter mir zur Tür herauskommen und auf der Wartefläche nach dem Zubringerdienst Ausschau halten, der ihn zu dem Parkplatz bringen würde, wo sein Wagen auf ihn wartete. Oder womöglich — weit schlimmer —

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