Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi
betätigen. Ansonsten spie die Römerin bittere schwarze Galle. Die diversen Knöpfe und Kippschalter waren sämtlichst unbeschriftet, was die Sache weiter verkomplizierte. Kieffer konnte die Maschine dennoch im Schlaf bedienen, er war ein Espressoflüsterer. Er bereitete zwei Milchkaffee zu und stellte sie auf ein Tablett. Sein Blick fiel auf eine Papiertüte, die auf dem Küchentisch lag. Valérie war offenbar bereits beim Bäcker gewesen. Er legte die darin enthaltenen petits pains aux chocolat und Croissants in ein Körbchen und trug dann alles nach draußen.
Während sie frühstückten, zeigte Valérie auf einen Papierstapel, der neben ihr auf der Bank lag. »Ich habe dir die Zeitungen mitgebracht, falls du mal reinschauen möchtest.«
»Später gerne. Aber wir frühstücken zurzeit so selten miteinander, dass ich mich lieber mit dir unterhalte.«
Er bemerkte, wie sich ihre Mundwinkel leicht nach unten zogen.
»Es war kein Vorwurf, Val.« Er versuchte, rasch das Thema zu wechseln. »Hast du schon in die Zeitungen reingeguckt? Passiert irgendwas in der Welt?«
Sie stippte ihr Croissant in den Milchkaffe und biss genüsslich ab. »Bei uns sind demnächst Präsidentschaftswahlen, das übliche Hauen und Stechen also. Es gibt eine Missernte in Russland, Weizen wird knapp. Außerdem spekulieren alle darüber, wer im nächsten Guide wie viele Sterne bekommt.«
»Du könntest es mir vorher verraten«, sagte Kieffer.
Sie setzte einen leicht anzüglichen Blick auf und sagte: »Du kannst ja fast alles von mir kriegen, Süßer. Aber das nicht.«
Jedes Jahr im Herbst erschien die neue Ausgabe des Guide Bleu, jenes in ultramarinfarbenen Stoff gebundenen Buches, das die Herzen aller Gourmets höher schlagen ließ. Die Undercover-Inspektoren des Gabin testeten Restaurants auf der ganzen Welt, und im Guide war nachzulesen, welche Lokale die begehrten Sterne erhielten. Vor allem in Frankreich, aber auch in Luxemburg wurde deshalb im Vorfeld mit Hingabe spekuliert, welche angesagten neuen Restaurants in den Olymp aufstiegen – und welche der Gabin zurück auf die Erde holte. Ein Stern konnte einen Koch zu einer Berühmtheit machen. Als Chefredakteurin des Gabin wusste Valérie natürlich im Detail über die Benotungen Bescheid, aber sie sagte nie etwas. Kremlhafte Verschwiegenheit gehörte zum Geschäftskonzept des Gastroführers, dessen inkognito operierende Tester kaum jemand kannte. Auch Valérie achtete stets peinlichst darauf, dass keine Fotos von ihr in die Presse gelangten.
Nicht, dass der Guide Kieffer übermäßig interessiert hätte, er hatte sie nur necken wollen. Natürlich lag auch unter seinem Tresen die Frankreich-Edition des Gabin, ferner die Landesausgaben für Deutschland und die Benelux-Staaten. Aber sein Interesse an Sterneküche war bereits vor langer Zeit erloschen. Er hatte seine Lehre in einem Einsterner absolviert, dann lange als Souschef in einem Pariser Zweisterner gearbeitet. Nach der damaligen Meinung der meisten Gastrokritiker besaß Kieffer Talent, schon als junger Koch waren ihm allerlei Preise verliehen worden. Das war vor über fünfzehn Jahren gewesen, lange, bevor er Valérie Gabin kennengelernt hatte. Damals war man in der Szene fest davon ausgegangen, der Luxemburger werde nach einigen Jahren als Souschef sein eigenes Lokal eröffnen, vielleicht in Paris, vielleicht auch in der Champagne, wo er gelernt hatte, aber auf jeden Fall in Frankreich. Dort, so war es ihm vorgezeichnet gewesen, hätte Kieffer sich über die Jahre auf einen, später auf zwei Sterne hochgekocht, um dann vielleicht irgendwann in den erlauchten Kreis der rund zwei Dutzend Restaurants aufgenommen zu werden, dem der Gabin die höchste Ehrung zuteilwerden ließ: den dritten Stern. Er erinnerte sich an Henri Levoir, einen der beiden Gründer des Gastroführers Levoir-Brillet, eines Konkurrenten des Guide Bleu. Der Kritiker hatte ihm einst prophezeit, dank seines außergewöhnlichen Talents werde er den dritten Stern schnell schaffen. »Ich verspreche Ihnen Kieffer: In Ihrem Fall dauert das höchstens zwanzig Jahre.«
Doch Kieffer hatte nichts von dem getan, was man von ihm erwartet hatte. Er liebte das Kochen, aber die Achtzehn-Stunden-Tage waren ihm unendlich lang, die überkandidelten Kompositionen unsagbar fad geworden. Und so kochte er nun lieber regionale Küche, Luxemburger Spezialitäten, Brasseriegerichte ohne Schnickschnack, Essen für die Seele. Es war das, was er mochte. Dass sich seine Exkollegen
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