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Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi

Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi

Titel: Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hillenbrand
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vermutlich darüber totlachten, wie Kieffer sich statt mit Gänseleberterrinen nun mit Gromperekichelcher beschäftigte, war ihm herzlich egal. Anders als er konnten Chefköche mit Stern auch nicht stundenlang mit einem Fläschchen Wein bei ihren Gästen sitzen. Anders als sie würde Kieffer vermutlich nicht schon mit fünfundfünfzig an einem Herzinfarkt krepieren.
    Valérie riss ihn aus seinen Gedanken. »Ich habe dir auch eine Illustrierte mitgebracht, da solltest du unbedingt reinschauen.«
    Sie hielt eine Ausgabe des deutschen Klatschmagazins »Bunte« empor.
    »Ach, Valérie. Warum sollte ich diesen Mist …«
    Seine Stimme erstarb, als er das Cover sah. Er griff nach dem Magazin, um das Foto genauer zu betrachten. Es war auf einer Jacht aufgenommen, vermutlich irgendwo im Süden. Auf dem Vorderdeck stand ein sehr gut aussehender, wenn auch etwas geckenhaft wirkender Mann mit olivfarbener Haut und schwarzer Löwenmähne. Sein muskulöser Oberkörper glänzte in der Sonne, sein Mund war zu einem breiten Lächeln verzogen und gab den Blick auf ebenmäßige Meißnerzähne frei.
    Kieffer kannte den Mann gut. Er war mit ihm auf die Kochschule gegangen. Leonardo Gutiérrez Esteban hatte zusammen mit ihm im »Renard Noir« in Châlons-en-Champagne gelernt, danach waren sie unterschiedliche Wege gegangen – sehr unterschiedliche Wege. Während Kieffer das Talent, aber nicht den Willen gehabt hatte, es ganz an die kulinarische Spitze zu schaffen, war es bei Esteban genau anders herum. Seine Fähigkeiten als Koch konnte man, freundlich betrachtet, als grundsolide bezeichnen. Diesen Mangel an Exzellenz glich der Argentinier jedoch durch unverschämt gutes Aussehen, Geschäftssinn und unerschütterliches Selbstbewusstsein aus. Der »Küchen-Leonardo«, wie sich Esteban seit einigen Jahren nannte, wollte ganz nach oben, es war seine Bestimmung. Zumindest glaubte er das selbst, und wenn er es glaubte, ja wusste – wer konnte dann etwas anderes behaupten?
    Ungläubig hatte Kieffer in den vergangenen Jahren verfolgt, wie Esteban zu einem der berühmtesten Köche Europas aufgestiegen war. Sterne besaß der Argentinier nicht, aber wozu auch? Die waren ohnehin nur hinderlich, wenn man Mikrowellen-Empanadas verkaufen oder sich als Werbefigur für Dosensuppen verdingen wollte.
    Kieffer und Esteban hatten sich nach ihrer gemeinsamen Lehre aus den Augen verloren. Erst vor etwa zwei Jahren waren sie wieder aufeinandergetroffen, der Kontakt war jedoch bestenfalls sporadisch. Dennoch war es nahezu unmöglich, dem Argentinier zu entgehen, denn er war überall. Im Fernsehen ohnehin, aber auch im Supermarkt, wo zwischen Ketchup und Barbecuetunke Estebans »Asado Argentina«-Würzsoße stand, versehen mit seinem strahlenden Konterfei. Und neulich hatte Kieffer an der Place d’Armes in der Oberstadt ein Esteban-Plakat im Fenster eines US-Fastfood-Tempels entdeckt. Selbst mitten in seiner eigenen Stadt lauerte der Mann ihm auf, spöttisch musterte ihn sein ehemaliger Kompagnon durch die Glasscheibe. Kieffer ging sonst nie in diese Burgerläden, doch bei dieser Gelegenheit hatte er es getan, aus purer Neugier. Nur um festzustellen, dass Esteban drinnen sogar als lebensgroßer Pappkamerad neben der Kasse stand und ihm lächelnd jene Kreation hinhielt, die er für die Kette geschaffen hatte: den Gaucho Mac.
    Estebans Aufstieg schien unaufhaltsam. Ansonsten hätte der Argentinier sich wohl auch kaum einen Urlaub auf einer Jacht wie dieser leisten können. Dem Bildausschnitt nach zu urteilen, musste das Schiff riesig sein. Kieffer betrachtete die barbusige Grazie, um die der Argentinier seine Arme geschlungen hatte. Darunter stand: »Ein Häppchen für den Starkoch«.
    »Wusste ich doch, dass dich das interessiert«, sagte Valérie. »Hab ich zufällig beim Bäcker im Zeitschriftenständer gesehen. Das ist doch dein Freund Esteban, oder?«
    »Freund ist ein sehr starkes Wort.« Kieffer schlug die Illustrierte auf, suchte nach dem Artikel und begann ihn zu überfliegen.
    »Worum geht es denn?«, fragte Valérie. »Wer ist das Mädchen?«
    »Nicht seine Frau«, brummte Kieffer. Esteban war verheiratet, und zwar mit der Erbin eines Bierbrauerimperiums aus der Eifel. Diese Verbindung hatte dem Argentinier nicht nur die Kapitalbasis für seine Küchenkarriere verschafft und sein opulent ausgestattetes Restaurant »Revolución« finanziert, sondern ihm außerdem einen Adelstitel beschert. Sein ohnehin klangvoller Name war durch die Vermählung mit

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