Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi
immer?«
»Ich hoffe ja, aber ich kann es noch nicht sagen. Wir haben Ende des Monats Druckschluss für den Guide Bleu, da ist der Stress immer am größten. Und anschließend muss ich einige Tage nach England. Würdest du auch mit nach England kommen?«
»Ich würde sogar dort essen«, erwiderte er und strich ihr mit dem Handrücken über die Wange. Sie gab ihm einen Kuss auf den Mund, für seinen Geschmack ebenfalls viel zu kurz. Dann lief sie über den Parkplatz davon und verschwand in dem gläsernen Schuhkarton, der Luxemburgs Flughafen beherbergte.
London. Seine Pendelbeziehung mit Valérie wäre für einen reiseunfreudigen Menschen wie ihn bereits anstrengend genug gewesen, hätte sie sich ausschließlich zwischen Paris und Luxemburg abgespielt. Es schien ihm jedoch, als ob die Zahl der Städte, die er inzwischen um ihretwillen an den Wochenenden besuchte, immer weiter zunahm. Anfangs waren es meist Bordeaux und Lyon gewesen, dann hatte es eine mehrmonatige Berlinphase gegeben, weil die Groupe Gabin sich vorgenommen hatte, den Menschen auf der anderen Rheinseite das Genießen zu erklären und dort expandierte, mit eigenen Zeitschriften und DVDs. Später war er mehrfach in Madrid und Barcelona gewesen und nun drohte ihm London. Neulich hatte er einen Brief von der Luxair erhalten, in dem ihm mitgeteilt wurde, er erhalte aufgrund seines hohen Flugaufkommens ab sofort den Frequent-Traveller-Status. Er und Vielflieger – es war einfach absurd. Und es nervte.
Kieffer stieg in sein Auto und suchte nach einer Kassette, die ordentlich Krach machte. Er wählte »Under a Blood Red Sky«, zündete sich eine Ducal an und fuhr zum »Deux Eglises«. Er musste spätestens in einer Stunde, wenn der abendliche Trubel begann, wieder oben auf dem Glacis sein. Aber vorher wollte er in seinem Restaurant kurz nach dem Rechten sehen und sich noch eine eiserne Reserve Gromperen in den Kofferraum laden. Kieffer parkte vor dem Haus und betrat den Speiseraum durch die Vordertür. Als Erstes ging er zu Jacques, seinem chef de service.
»War ein Banker hier?«, fragte er
»Ein Banker, Xavier? Es sind doch andauernd welche hier.«
Jacques hatte natürlich recht. Angesichts der Nähe zum Kirchberg gehörten viele der Fondsmanager und Investmentbanker, die im Finanzviertel arbeiteten, zu seinen Stammgästen.
»Nicht irgendeiner. Ein Russe namens Yeltsin.«
»Wie der versoffene Präsident? Nein, Boris war nicht hier«, gluckste Jacques.
»Danke«, sagte Kieffer und ging zu seinem Büro. Auf dem Weg dorthin blieb er plötzlich stehen. »Kräiz Batterie!«, entfuhr es ihm. Er nahm sein Handy aus der Tasche und wählte Valéries Nummer. Ihr Anrufbeantworter sprang sofort an, sie saß offenbar schon im Flugzeug.
Yeltsin. Es war ziemlich offensichtlich, sobald man darüber nachdachte. Kieffer hatte die Frau, die sich ihm am Telefon als Madame Coletti vorgestellt hatte, nach dem Namen jenes Mannes gefragt, der im »Roude Léiw« herumrandaliert hatte. Die hatte daraufhin kurz gezögert. Warum? Vermutlich weil sie dessen wahren Namen nicht preisgeben wollte. Und vermutlich auch, weil ihr auf die Schnelle kein russischer Name eingefallen war. Also hatte sie ihm den erstbesten hingeworfen, der ihr zum Thema »betrunkener Russe« eingefallen war: Yeltsin. Und weil Boris Yeltsin dann doch zu unglaubwürdig geklungen hätte, hatte sie ihrem fiktiven Raufbold den gängigsten russischen Vornamen verpasst: Ivan.
Ivan Yeltsin. Kieffer war sich nun sicher, dass die Frau weder Coletti hieß noch die Firma Cipher Investments. Er kramte in seiner Hosentasche nach der Quittung, die ihm der Kurier vorhin ausgestellt hatte. Es war ein von einem handelsüblichen Quittungsblock abgerissenes Formular. Die Unterschrift war unleserlich, darüber stand in Druckschrift »Keycard«.
Mit einem seltsamen Gefühl im Bauch stieg Kieffer die Treppe zur Küche hinauf. Abwesend grüßte er den Vorbereitungskoch und ging dann in den Kühlraum, um einige Dinge für die Kirmes zusammenzupacken. Als er fertig war, stellte er die Plastikkiste mit den Zutaten in den kleinen Speiseaufzug, schickte ihn nach unten und ging zurück in den Schankraum. Jacques grinste ihn an. »Der russische Ex-Präsident war immer noch nicht hier.«
Kieffer wuchtete die Box aus dem Aufzug. »Ich schätze, er kommt auch nicht mehr. Ich fahre jetzt rüber zur Fouer. Gibt es sonst noch irgendwelche Neuigkeiten, die ich wissen müsste?«
»Hier im Lokal? Nein nichts. Aber hast du von dem
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