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Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi

Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi

Titel: Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hillenbrand
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beobachtete seinen Vorbereitungskoch, der gerade die Wildhasen für den Hasenpfeffer auseinandernahm. Am Vorabend waren dreißig Stück geliefert worden, aus einer Freilandzucht in Ontario. Lieber wären ihm Luxemburger Tiere gewesen, aber das war eine allzu romantische Vorstellung; heimische Hasen gab es schlichtweg nicht in ausreichender Zahl. Jene Tiere, die Jägern auf dem Ösling, dem dünn besiedelten Norden, vor die Schrotflinte kamen, fanden ihren Weg zudem nur selten in den Großhandel. Sie landeten direkt in heimischen Kochtöpfen. Die Tiere für die Gastronomie kamen deshalb heutzutage entweder aus China oder Kanada. Die Hongkonghasen waren Kieffer suspekt, weswegen er sich für die kanadischen entschieden hatte. Ihr Fleisch war in Wahrheit besser als das der Mümmelmänner, die man in Frankreich oder Deutschland kaufen konnte. Er fand, dass auch ein nordamerikanischer Hase als »richtegen Lëtzebuerger Kascht« durchgehen konnte, vorausgesetzt man bereitete ihn so zu, wie es sich gehörte: mariniert in Rotwein und Kräutern, in einem gusseisernen Topf in einer mit Johannisbeergelee angedickten Soße geschmort und garniert mit Speck und Pilzen – civet de lièvre, wie es schon seine Mutter und seine Großmutter gekocht hatten.
    Sein Koch nahm die gehäuteten Tiere auseinander, parierte die einzelnen Stücke und legte sie dann in große Bräter, die er zuvor mit Gemüse, Pfefferkörnern sowie einem Bouquet garni befüllt und mit Burgunder übergossen hatte. Drei Tage würde der Hase nun in dieser Marinade liegen, dann war er so weit, dass Kieffer ihn in Lëtzebuerger Huesenziwwi verwandeln konnte. Seit einiger Zeit entdeckte er auf den Speisekarten anderer Restaurants immer wieder neuartige Hasenpfeffer-Varianten, die besonders zeitgeistig daherkommen wollten, etwa Huesenziwwi mat Schokelaszooss. Schon bei dem Gedanken wurde Kieffer ganz flau im Magen. Fehlte nur noch, dass der Hase vorher in Zitronengras, Physalisfrüchten und grünem Tee mariniert wurde. Derlei kam im »Deux Eglises« nicht auf den Tisch.
    Nachdem er sich vergewissert hatte, dass in der Hasenmarinade weder Sternanis noch Ingwerstücke schwammen, ging Kieffer in sein Büro, wie jeden Samstagvormittag, bevor die Mittagsgäste kamen. Er sah die Reservierungen durch und überprüfte seinen Anrufbeantworter. Noch immer wartete er auf einen Rückruf der Wirtschaftspolizei, die er mehrmals zu erreichen versucht hatte. Da Kommissarin Lobato nach eigenen Angaben von dem Fall abgezogen worden war, würde er das Tablet ihren Kollegen aus der Abteilung für Wirtschaftskriminalität übergeben müssen. Er schaute auf seine Uhr. Am Nachmittag war er mit Kwaukas verabredet. Dass der Mann sich an einem Samstag mit ihm treffen wollte, hatte Kieffer verwundert. Den meisten Bankern, die er kannte, waren Dienstschluss und Wochenende hochheilig. Das galt vor allem für die vielen Ausländer, die am Freitagnachmittag in ihre Heimatländer zurückjetteten und erst am Montagmorgen wieder am Flughafen Findel auftauchten.
    »Ich habe kein Wochenende«, hatte Kwaukas ihm gemailt. Als Gastronom hatte Kieffer ebenfalls keines, und so war es ihm recht gewesen. Das Telefon klingelte. Es war Jacques, sein Chefkellner.
    »Was gibt es?«
    »Besuch für dich, Xavier. Es ist dieser Internetschwede.«
    »Sundergaard?«
    »Seinen Namen hat er mir nicht gesagt. Er ist dicklich, trägt eine Hornbrille und hat einen Schnauzer wie der Mann aus ›Magnum‹.«
    Kieffer grinste. »Das ist er. Ich komme sofort.«
    Sundergaard saß auf der Terrasse und vertilgte gerade ein Stück Luxemburger Traubenkuchen, während er gleichzeitig mit seinem Smartphone herumspielte. Kieffer vermutete, dass es sich um sein Frühstück handelte. Die Terrasse des »Deux Eglises« war fast leer, bis auf eine asiatische Großfamilie und zwei Männer in Bikermontur war niemand da. Der Koch setzte sich zu Sundergaard. Das heutige T-Shirt des Schweden zeigte ein Häufchen weißen Pulvers. Bei genauerem Hinsehen erkannte der Koch, dass es sich bei den weißen Körnchen um winzige, durcheinandergewürfelte Zahlen handelte. Darunter stand: »I do mass quantities of code«.
    Der Programmierer nickte ihm zu. »Geiler Kuchen, Chef.«
    »Danke. Altes Familienrezept.« Der Kuchen war eine Spezialität von der Mosel. Man belegte einen Teigboden mit Trauben, buk ihn und goss dann eine Creme aus Rahm, Eiern und Zucker darüber. Kieffer hatte den Eindruck, dass Sundergaard kein Mensch war, der allzu viel über die

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