Letzte Fischer
bist die Richtige!«
Sie hatte genickt und gesagt: »Du kannst mir vertrauen, das ist es doch, was du hier auf der Yacht herausfinden wolltest, oder? Du kannst mir vertrauen, weil ich dir völlig vertraut habe und dir immer vertrauen werde. Und nun, mein großer, dreißigjähriger Held, fick mich bitte noch ein Weilchen!«
Mathilde lächelte und konnte sich heute kaum noch vorstellen, dass sie das damals wirklich gesagt hatte: ›Fick mich, bitte fick mich noch ein Weilchen.‹
Sie lachte laut auf, lehnte sich auf dem Liegesitz zurück, auf dem sie gefrühstückt hatte, und sah ins leuchtende Blau über sich: »Robert! Robert, du Verrückter, ich liebe dich!«
Für einen Moment brandete die Ostsee auf.
»Was hast du gesagt?«
Mathilde schrak zusammen, sah nach links, wo der dickliche Junge wieder einmal am Zaun stand, der den Kindergarten von ihrem Grundstück trennte.
»Gar nichts.«
»Doch, du hast was gesagt! Ich habe es bloß nicht verstanden.«
»Ich habe gesagt, dass ich meinen Mann liebe und dass er recht bald nach Hause kommen soll.«
»Der Seemann?«
»Der Seemann.«
»Den mag ich nicht.«
Mathilde lächelte in den Himmel, sah dann aber den Jungen an, der den Kopf schüttelte.
»Warum nicht?«, frage sie.
»Weil er immer so böse guckt, wenn er hier ist.«
»Böse? Das stimmt doch gar nicht. Er ist einer der gutmütigsten Männer, die es überhaupt gibt.«
»Aber wenn er rüber zum Meer sieht, dann guckt er immer böse. Der steht lange am Meer, wenn du schläfst.«
»Wenn ich schlafe? Woher willst du das denn wissen?«
»Na, weil ich es gesehen habe. Und was man sieht, das stimmt auch. Nur was man nicht sieht, das stimmt manchmal nicht ganz.«
»Jetzt geh vom Zaun weg und spiel mit deinesgleichen! Du musst endlich mit Kindern spielen, sonst nimmt das kein gutes Ende mit dir, hast du verstanden?«
»Ja, habe ich. – Schneiden wir heute Abend aus? Ich bin noch ganz lange im Kindergarten.«
»Ich glaube nicht. Mal sehen, vielleicht. Du musst jetzt aber endlich spielen gehen, sonst muss ich mich mal mit deiner Mutter unterhalten. Das will ich eigentlich nicht, aber wenn es nicht anders geht?«
»Also machen wir heute Abend Schattenschnitte. Versprochen?«, fragte der dickliche Junge, und noch ehe Mathilde etwas sagen konnte, drehte er sich um und verschwand im Pulk der spielenden Kinder. Er sah nicht ein einziges Mal mehr zu ihr herüber.
Sie erhob sich, räumte das Frühstücksgeschirr auf das Tablett und sah wenig später, das Tablett in den Händen, verträumt zum Horizont, wo eine einsame Yacht durchs Meer vögle. Sie lächelte in sich hinein, ehe sie ins Haus ging.
Auf der alten Hauptstraße des Fischerdorfes musste sie auf Höhe des neuen Gemeindezentrums hart bremsen, um noch im letzten Augenblick rechts abbiegen zu können. Hinter ihr hupte ein Frührentner aus Berlin, weil sie den Blinker vergessen hatte, aber sie kümmerte sich nicht um den Nachfahrenden. Der Mann, der am Steuer saß, hatte einen Hut auf! Das sage doch schon alles, meinte sie. Mathilde hatte einige Vorurteile ganz gerne, nur diejenigen nicht, in denen es heißt, weibliche Fahrer vergäßen immer den Blinker, nähmen anderen Fahrern immer die Vorfahrt und würden immer rücksichtslos fahren. Was hieß schon ›immer‹! Sie warf die Fahrertür zu, ging über die Straße, wobei der gleiche Mann schon wieder hupte, hatte sie doch nicht nach links gesehen, als sie über die Straße ging. Diesmal hielt er und rief ihr nach: »Kommen Sie bloß nie nach Berlin rein!«
Er kurbelte das Fenster des alten Mercedes wieder hoch und fuhr mit Tempo zwanzig weiter, während Mathilde in den Tante Emma Laden ging, wo die Inhaberin schon mit dem Schlüssel in der Hand stand und gerade zuschließen wollte.
»Ach, das Paket aus Hamburg!«, sagte die Frau.
»Aus Hamburg? Ich kenne niemanden in Hamburg! Sind Sie sich sicher?«
»Aber ja. – ›Kunsthalle‹ steht da, das ist noch mal etwas anderes als Museum. Das macht dann drei Euro neunzig Nachnahme.«
Mathilde bezahlte und ging mit dem Päckchen von der ›Hamburger Kunsthalle‹ zusammen mit der Ladenbesitzerin hinaus. Draußen wartete sie noch, bis die Frau alles verschlossen und verriegelt hatte, dann verabschiedeten sie sich voneinander und stiegen in ihre Fahrzeuge. ›Hamburger Kunsthalle‹? Mathilde sah sich während der kurzen Fahrt den Absender noch einmal an. Ratlos warf sie die Postsendung auf den Beifahrersitz, ehe sie bei Tempo dreißig eine Vollbremsung
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