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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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verlieren.
    Schmelz hielt den Knauf der Tür noch einen Moment lang fest, sah dem Prinzen kurz in die Augen, der noch einmal nickte und ihm einen Schlag auf die Schulter verpasste, bevor Obersturmführer Schmelz sich umdrehte und den Flur entlangging.
    „Bauen Sie Ihren Ruf als Korruptionsjäger aus, Kurt!“, rief ihm der Prinz noch nach: „Ach, und alles Gute zu Ihrem morgigen Geburtstag, Kurt! Alles Gute!“
    Obersturmführer Schmelz hatte verdammte Tränen der Rührung im Gesicht. Er hielt den Kopf gesenkt, während er weiterging, hörte, wie sich hinter ihm die Tür schloss, und schüttelte den Kopf.
    Ein paar Mal kniff er die Augen zusammen, bis diese verdammten feuchten Zeugnisse der Schwäche endlich verschwunden waren.
    Auf nach Buchenwald, dachte er, und für einen Moment war er übervoll von Glück. War er ein Vogel Phönix, der gerade der Asche entstieg?
    Tränen, der zweiundsiebzigjährige Schmelz hatte Tränen in den Augen. Er sah sie deutlich funkeln im blutverschmierten Spiegel. Ihr Salz brannte auf dem bloßen Fleisch der verunstalteten Wangen.
    Ab ins Schlafzimmer und weg vom Spiegel, dachte er, und plötzlich war er zutiefst unglücklich, dämmerte ihm doch jetzt, was noch alles käme und was er die ganze Zeit über verdrängt hatte. Entsetzen stieg aus diesen Ahnungen hervor. War er damals der Asche entstiegen, um heute zu verbrennen? Verbrannte er? Brannte er zum wiederholten Male bei lebendigem Leib? Verbrannte er wie Phönix? Oder brannte er zum letzten Mal?

BEWIESEN

Jene Krankheit, von der Doktor Kurt Schmelz in den letzten Tagen seines Lebens heimgesucht wurde, kennt die Medizin als Morbus Behcet, er selbst jedoch war sich in keiner Weise klar darüber, dass er an dieser Hautkrankheit litt, dass er überhaupt an einer Krankheit litt. Er glaubte, dieses unerträgliche Jucken und Kratzen, dieses Schaben und Reiben von innen gegen seine Haut sei Strafe und gehe einher mit seinem Erinnern, mit seinem Eingeständnis, eine furchtbare Tat begangen zu haben, und gehe einher mit seiner Schwäche, die Verdrängungsmechanismen, die ihm nach dem Krieg ein sorgenfreies Leben beschert haben, nicht mehr aktivieren zu können, seitdem seine Frau ihn verlassen hatte. Während er sich nach und nach die Haut des Oberkörpers in kleinen und kleinsten Fetzen vom Leib riss, hatte er gemeint, die Tat seiner Frau sei Auslöser für seinen Untergang. Ihre Flucht sei Verrat.
    Der alte Doktor Kurt Schmelz konnte sich nicht vorstellen, sich mit dem stetigen und äußerst schmerzhaften Entfernen der Haut vom Körper eigenhändig umzubringen. Er meinte, es müsse eine letzte Haut geben, eine reine Haut, die sich nach dem Brand bilde, jenem großen, biblischen Brand, der alles reinige und allen vergebe. Auch er müsse aus einem Brand wieder neu entstehen können, meinte er, auch er sei, wie so viele, ein Vogel Phönix.
    Morbus Behcet ist eine chronische, schubweise verlaufende Systemvaskulitis. Bläschenausschlag im Mund, Genitalulzera und Uveitis beschreiben die Leitmotive, doch nach dem Verfaulen der Mundschleimhaut, welches ein Sprechen unmöglich macht, dem Auslöschen der Funktionen des Genitalbereiches und dem Ausstoßen stinkenden Fäulnisgeruches aus den Hautporen setzt das unerträgliche Piesacken der inneren Haut ein, dem sich der Patient nicht mehr erwehren kann. Wird er nicht behandelt, so gleitet er in einen Dämmerzustand und später in den Wahnsinn ab, um so zu verhungern und zu verdursten. Herkunftsländer dieser Krankheit sind die Türkei, Israel und Japan, wo man sie auch als Akne von innen kennt und ihr den Namen Tod der einhundert Milliarden Nadelstiche gab, so jedenfalls hatte der alte Schmelz es in dem Lehrbuch Dermatologie und Innere Medizin beschrieben gefunden, das er sich vor Jahren zugelegt hatte, als Anna einmal für zwei lange Wochen im Krankenhaus gewesen war.
    Er werde sterben, qualvoll, entwürdigend und einsam, Kurt Schmelz war sich sicher. Es war ihm klar geworden, als er siebzehn Stunden gebraucht hatte, um vom Flurspiegel zum Schlafzimmer zu kommen und es nach weiteren sechs Stunden erst geschafft hatte, vom Fußboden aufs Bett zu gelangen. Seitdem lag er erschöpft, apathisch und wie gelähmt auf dem einst frischen, weißen Laken, das schon längst durchgeweicht war, in das Eiter, Blut und Urin gedrungen war. Lange Zeit war er aus der geistigen Dämmerung nicht erwacht, im Schlafzimmer war es dunkel; es stank bestialisch, merkte er jetzt.
    Seit Minuten klingelte es an der

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