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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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Monate!“
    „Mein Gott, die Zeit!“, sagte Tarnat: „Neulich doch erst wurde der Dresdener SC wieder mal deutscher Fußballmeister! Ich erinnere mich doch noch deutlich daran! Vier zu Null gegen den LSV Hamburg! Obwohl, ist ja auch immer das Gleiche mit den Dresdenern!“
    „Die haben halt Glück, ihre Stadt wird doch bei all der Kultur und den ganzen Kirchen niemals bombardiert werden“, meinte Liebig, ehe die Männer sich verabschiedeten.
    Jeden Tag verhörten sie Hoven, aber der blieb entweder stumm, oder er wich aus. Dreizehn Wochen waren seit Sommers Geständnis vergangen, dreizehn lange, zermürbende Wochen, der Chefarzt aber war die ganze Zeit über standfest geblieben. Und dreizehn Wochen, die auch für das Deutsche Reich alles andere als gut verlaufen seien, meinte Tarnat und dachte an die vielen Bombenangriffe auf Berlin, die jede Nacht im Januar stattgefunden hatten. Die Rote Armee war schon in der Ukraine, die Amerikaner waren in Italien im Rücken der Wehrmacht gelandet, das Kloster Monte Cassino wurde bombardiert, die US Truppen waren im Pazifik erfolgreich, in Japan wurden die Studenten eingezogen, und immer wieder die inoffiziellen Nachrichten aus dem Osten, dass die Rote Armee schon wieder irgend etwas Kriegswichtiges eingenommen hatte. Neulich war es die Eisenbahnlinie Narwa – Reval gewesen, und erst vor gut zehn Tagen, da hatte sie am neunzehnten März den Dnjestr überschritten, und vor vier Tagen war es am achtundzwanzigsten März der Nikolajew am Schwarzen Meer gewesen. Und in Wales? Da konnten es sich die Kohlearbeiter sogar leisten zu streiken, hatte Tarnat erst gestern gehört. Zweihundertfünfundachtzig Streiks mitten im Krieg! Und als wäre das noch nicht britisch genug, da schlossen sich auch noch die Werftarbeiter an! Tarnat schüttelte den Kopf, und während er im Casino des Lagers Buchenwald einen Schnaps trank, war Ermittlungsrichter Schmelz schon wieder auf dem Weg zu Hoven.
    Als stünde er als Schauspieler vor der Kamera, hatte Schmelz oft gedacht, und auch an diesem ersten April vierundvierzig dachte er, was für ein Schauspieler, während zur gleichen Stunde amerikanische Flieger irrtümlich die Schweizer Stadt Schaffhausen bombardierten, wobei vierzig Menschen ums Leben kamen. Umgehend wurde der Schaden von den Schweizer Behörden auf achteinhalb Millionen Dollar festgelegt und der US Regierung in Rechnung gestellt, die sich auch sofort zur Zahlung bereit erklärte, worüber Tarnat später nur müde den Kopf schütteln sollte.
    Ermittlungsrichter Schmelz dachte an einen ganz anderen ersten April, an den des Jahres neununddreißig, als er in Stettin vom Richteramt suspendiert worden war. Hatte er sich damals nicht genauso niedergeschlagen gefühlt wie heute? Wie weit war er denn überhaupt gekommen?
    Nein, nicht diese Art von Fragen! Nicht jetzt! Niemals! Zweifel waren nur gemacht, um den Handelnden in einen Hoffenden zu verwandeln, aber doch nicht ihn! Doch nicht Kurt Schmelz, Sohn eines unbekannten Säufers und Taugenichts! Er war der Primus des Erbprinzen von Waldeck Pymont, und das hatte er allein geschafft, ganz ohne Familienpolitik! Also, er musste lediglich diesen Hoven knacken, ihn endlich knacken, es war ja auch schon eine Woche vor Ostern, er musste es endlich schaffen! Schließlich hatte er sich das Ziel gesetzt, zum Osterfest eine fundierte Anklageschrift vorzulegen, und er war ja wohl nicht der Mann, der Termine verschob und verschob, bis dann plötzlich kapituliert werden musste! Also, wenn nicht heute, dachte er, wann denn dann? In einer Woche ist Ostern.
    Ermittlungsrichter Schmelz war auf dem Weg zum Bunker und erneut war er voller Hoffnung, doch diesmal hatte er ein wenig mehr als nur Hoffnung im Gepäck! Diesmal hatte er endlich die Ergebnisse der Obduktion dabei. Diesmal hatte er einen neuen Beweis für Hovens Schuld, einen echten Beweis. Schwarz auf Weiß!
    Waldemar Hoven lag in seiner Zelle auf der Pritsche, die keine Matratze hatte, den Kopf auf die zusammengelegte Pferdedecke, die ihm nachts als Bettdecke diente, und starrte nach oben, wo sich eine einzige mit einem engmaschigen Drahtnetz gesicherte Glühbirne befand.
    Die Zelle selbst war drei Meter lang und einen Meter siebzig breit, die Pritsche stand an der hinteren Wand, rechts davon befand sich der an den Boden geschraubte, kleine, quadratische Tisch, und direkt neben der Tür war die Latrine, die aus einem Loch ohne Deckel bestand, über das der Insasse sich hocken mussten. Waschmöglichkeiten

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