Letzte Haut - Roman
Kreis gebildet wurde, der in der Mitte ein Stehpult hatte, das nicht verkleidet war und lediglich aus stabilen Eichenhölzern bestand.
Hinter der Verteidigung befand sich an der Wand ein Käfig, in dem zwei Eisenstangen als Sitzgelegenheiten dienten. Die Käfigtür stand noch offen, der Käfig selbst war einen Meter zwanzig hoch, so dass die Insassen zum Sitzen gezwungen wurden. Liebig erinnerte sich bei diesem Anblick an die Bärenhütte von Hackmann, von der ihm einer der unzähligen Zeugen berichtet hatte, und er musste beim Anblick des Käfigs lächeln, in dem sich nun auch bald Hauptsturmführer Hackmann wiederfinden werde.
Von der Decke hingen vier riesige Leuchter, die Wände waren mit dunklem Eichenholz verkleidet; Bretter, die Verzierungen aufwiesen. Die vielen Sitzreihen hatten an den Enden der Armlehnen Schnitzereien in der Form von Löwenköpfen und Tigerkrallen. Die Scheiben der hohen und breiten Fenster bestanden aus buntem Bleikristall und zeigten Jagdszenen. Zwei hohe Flügeltüren, deren Griffe in Schulterhöhe waren, befanden sich den Fenstern gegenüber.
Der Richtertisch stand auf einem Podest und war mit einem Relief verblendet, dessen Schnitzarbeit die Schlacht im Teutoburger Wald abbildete. Links und rechts des Tisches standen zu Sträußen gebundene Fahnen, pechschwarze Kreuze auf Blutrot, und über dem prächtigen, mit Samt ausgeschlagenen Sessel des vorsitzenden Richters hing ein Porträt des momentanen Anführers der Deutschen, was Ermittlungsrichter Doktor Kurt Schmelz missbilligend zur Kenntnis nahm. Hätte er zu entscheiden, so würde jedes Politikerkonterfei aus den Gerichtssälen des Reiches verschwinden! Er seufzte auf und ließ sich auf einem der bequemen Stühle der Zeugenbank nieder. Wann endlich würde die Trennung von Politik und Recht vollzogen sein?
In seine Tätigkeit versunken, holte Doktor Tarnat nach und nach die Unmengen von Akten aus den sieben Koffern und stapelte sie auf den Zeugentisch, weshalb er nicht bemerkte, wie die Prozessbeobachter ihn immer ungläubiger anstarrten. Nun habe wohl auch der Letzte begriffen, meinte Schmelz, dass dies hier keine Sondervorführung stattfinde, sondern ein Sondergericht. Er musterte die großen Augen, die blank rasierten Gesichter, in denen einige Münder offenstanden.
Immer mehr Parteifunktionäre kamen in den Gerichtssaal, blieben stehen, unterhielten sich mit großen Gesten vor den Sitzplätzen, wurden aber leiser, sobald sie die Zeugenbank mit dem geschäftigen Tarnat sahen, und verstummten schließlich ganz.
Schmelz war seinem Kollegen für diese unbeabsichtigte Vorführung dankbar. Er genoss den Anblick des verstörten Publikums, versagte sich jedoch ein Grinsen.
„Wenn das nur gut geht“, flüsterte Liebig neben ihm, dem die Anwesenheit der SS Prominenz auf den Magen zu schlagen schien, wie Kurt Schmelz meinte.
„Du bist blass“, sagte er, worauf Liebig erwiderte: „Meine Fresse, mir ist kotzübel. Ich könnte auf der Stelle reihern! Meine arme Fresse.“
„Ich dulde hier keine Schwäche“, sagte Schmelz, der wie immer kaum etwas fühlte. Weder war er blass noch rot im Gesicht, wie er mit einem Blick zum Wandspiegel feststellte, der neben der Zeugenbank stand. Ihm war weder heiß noch kalt. Seine Haut war nicht feucht, nein, seine Haut sei wie immer, meinte er, seine Haut funktioniere, sie schütze ihn und verrate auch nicht den kleinsten Teil seines Innenlebens. Nicht einmal die Lippen seien trocken.
„Ich werde mich bemühen“, flüsterte Liebig, wobei er die Unterarme auf die Knie legte und mit den Händen den Kopf hielt. Er sah auf die polierten Holzdielen und konzentrierte sich auf die Maserungen.
„Bemühen, das reicht mir nicht“, gab Schmelz zurück, ohne zu Liebig zu sehen. Er zog den Schlips der Uniform nach, richtete den Kragen, strich sich über die Haare, zog die Oberlippe hoch und überprüfte die Zähne mit den Fingern.
Mittlerweile hatte sich der Saal gefüllt, und als einer der letzten kam Gruppenführer Schmitt Klevenow herein. Widerstrebend, schien es Schmelz, notierte er die persönlichen Daten auf der Liste am Eingang, ging verärgert in die Mitte des Saals und setzte sich auf den mittleren Platz der ersten Reihe.
„Wenn das nur gut geht!“, wiederholte Liebig, ohne aufzusehen.
„Alles wasserdicht!“, sagte Tarnat, während er das letzte Bündel Akten auf den Tisch wuchtete, das Band öffnete und die Unterlagen verteilte: „Alles wasserdicht! Kein Wassereinbruch zu befürchten!
Weitere Kostenlose Bücher