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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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und misshandelt wurde. Und sie seien nicht einmal mehr sonderlich verwundert darüber, stellte Schmelz fest, wie schnell sie sich an alles gewöhnt haben. Die drei Sonderermittler konzentrierten sich auf ihre Arbeit, erzielten aber keinerlei Ergebnisse.
    Schmelz hatte dem jungen Liebig erklärt, wie er an der Ostfront zu töten gelernt hatte. Man dürfe sich den Feind nicht als Menschen vorstellen, hatte er gesagt: Liebig, stellen Sie sich den Feind als Zielscheibe vor, als laufende Zielscheibe, dann geht’s fast wie von selbst. Ins Schwarze treffen, einfach nur immer schön ins Schwarze treffen.
    Liebig hatte genickt und es versucht. Er versuchte es noch immer. Zielscheiben, überall nur Zielscheiben. Ein Lager voller Zielscheiben.
    Sie gingen innerhalb des Häftlingslagers zur Gärtnerei, und auf dem Weg dorthin schaffte Liebig es immer öfter, nicht die vor Hunger wankenden Menschen mit den leeren Blicken zu sehen, sondern einfach nur aufgenähte Sterne.
    Große, gelbe Sterne auf der Häftlingskleidung. Einen Stern und eine Nummer. Einen Stern in Brusthöhe, eine Häftlingsnummer daneben. Nummerierte Sterne, aber es gab auch andersfarbige Dreiecke und vereinzelt sogar rosa Riegel.
    Doch unerwartet blieb er dann doch stehen, er konnte gar nicht anders. Seine Begleiter bemerkten erst nach einigen Schritten, dass er stehen geblieben war, und sahen sich erstaunt um. Wie festgewurzelt stehe Liebig da, stellte Schmelz fest, und starre zu einem der Fenstergitter der Baracke drei.
    Der Insasse mit der Nummer sechstausendvierundneunzig war von einem Hauptsturmführer aus der Arbeitskolonne geholt worden. Während die Kolonne zum Tor marschierte, wurde der Insasse von einem anderen ans Gitter gebunden.
    Zuerst wollte Schmelz seinen jungen Mitarbeiter unwirsch wegziehen, doch dann ging er unmittelbar und ohne zu überlegen auf den Mann in Waffen SS Uniform zu und fragte: „Name? Dienstgrad!“
    Der Hauptsturmführer nannte seinen Dienstgrad und fügte hinzu, sein Name sei Hans Schmidt.
    „Hauptsturmführer Schmidt, was geht hier vor?“
    „Befehl vom Chef der politischen Abteilung, Obersturmführer. Der Mann soll für ein Geständnis vorbereitet werden.“
    „Für ein Geständnis?“
    „Ich meinte, Verhör. Für ein Verhör vorbereitet werden.“
    „Und wer ist das?“, fragte Schmelz und deutete auf den anderen Häftling, der den Insassen mit der Nummer sechstausendvierundneunzig ans Fenstergitter band und ihm die Jacke nach oben zog, so der Rücken nackt zu sehen war.
    „Das ist unser Insasse Wunderlich. Guter Mann. Abkommandiert, mir zur Hand zu gehen, Obersturmführer Schmelz.“
    „Was wird dem anderen vorgeworfen?“
    „Wem?“
    „Fragen Sie nicht so blöd! Der Sechstausend vierundneunzig natürlich, wem denn sonst!“
    „Da müssen Sie sich an den Adjutanten des Kommandanten wenden. Da bin ich völlig überfragt. Ich soll ihn nur irgendwo vorbereiten, damit das Verhör nicht so lange dauert.“
    „Aber wer ist der Mann?“, allmählich wurde es Schmelz zu bunt. Dass sich immer alle auf andere beriefen! Und immer auf höhergestellte! Das wirkte ja beinahe wirklich wie eine Sekte! Keiner konnte etwas dafür, aber alle vollzogen es. Am liebsten hätte Schmelz losgebrüllt, aber dann wäre er ja auch nur einer von denen, deren Schlamperei er beweisen wollte. Beweisen musste!
    „Wer also?“, wiederholte er, während das Gesicht seines Gegenübers noch immer Ratlosigkeit zeigte.
    „Ich glaube, irgend so ein französischer Diplomat. Der ist schon ewig hier. Ein stiller Mann, aber wir glauben, er weiß etwas“, sagte Schmidt: „Und das wollen wir wissen.“
    „Was?“, fragte Schmelz und bereute diese Frage sofort.
    Als habe Schmelz einen Witz gemacht, einen sehr guten Witz, lachte der Hauptsturmführer und schlug sich übertrieben oft auf die Schenkel, ehe er sagte: „Wenn wir das nur wüssten, Obersturmführer, wenn wir das nur wüssten! Vielleicht weiß er auch gar nichts mehr, aber ein Versuch ist es doch wert, oder? – Stellen Sie sich vor, wir schicken ihn durch den Schornstein und er wusste noch etwas! – Nein, nein, wir arbeiten gründlich!“
    „Und was ist das, was Sie da in der Hand halten?“, fragte Schmelz, um das Thema zu ändern.
    „Das ist ein Ochsenziemer, Obersturmführer. Den hat mir Arrestbunkeraufseher Sommer zur Verfügung gestellt. Damit brauche ich nur sechs, sieben ordentlich platzierte Schläge, und dann ist der Mann reif. Kann so Kräfte sparen.“
    „Wie heißt der

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