Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
Vom Netzwerk:
gelernt? Keinen Hinweis oder Beweis zu haben, heiße noch lange nicht, dass nicht doch eine versteckte Schuld vorliegen könne. Eine Schuld, die dann meist nur mit Hilfe einer Zeugenaussage durch ein Geständnis bewiesen werden könne. Und Kurt Schmelz war sich sicher gewesen, und er war sich noch immer sicher, Koch könne nicht unschuldig sein, nicht bei diesen Indizien!
    Er stand in der Poststation und las die geöffneten Briefe, die Ilse Koch ihrem Mann schickte und die sie von ihm bekam. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Ausführlich beschrieb Ilse Koch darin, wie viel Geld sie beiseite geschafft habe und was sie davon gekauft habe, während Karl Koch, der in Lublin ein neues Lager baute, stolz berichtete, er habe dort schon Unmengen von Wertsachen zurückgehalten, um sie alsbald in die Deutschschweiz zu schaffen.
    Oft endeten die Briefe Karl Kochs mit einem Dank an den Anführer, dessen beste Idee es gewesen wäre, die Juden einzusperren, all diese reichen und verwöhnten Juden, würde dies doch einen unvorstellbar großen Reichtum mit sich bringen, den niemand ordnen könne und wolle.
    Als Beweis könne Schmelz diese Briefe wegen des Briefgeheimnisses nicht verwenden, und so könne er die Herkunft der Information zwar nicht erklären, doch aber als begründeten Anfangsverdacht durchaus benutzen. Sie seien ein Hinweis, immerhin ein handfester Hinweis, meinte er, als Tarnat in die Poststation kam und ihm flüsternd mitteilte, dass er recht gehabt habe.
    „Zeigen Sie her!“, befahl Schmelz, wobei er vergeblich versuchte, die Stimme ruhig klingen zu lassen. Es war gegen siebzehn Uhr und die Postbeamten warteten nur noch auf sein Zeichen, die ausgehende Post wegschicken zu dürfen. Schnellen Schrittes war er in die Station gekommen und hatte mit klaren Worten befohlen, die Briefe der Kochs auszusortieren. Die Postbeamte hatte gehorcht, nicht einer, der einen schriftlichen Befehl verlangt hatte.
    Tarnat gab ihm die telegrafierten Kopien der Koch’schen Konten, und leise pfiff er kurz darauf durch die Zähne. Es waren Millionenbeträge, die da gesammelt worden waren und dann in großen Summen abgingen. Noch immer befanden sich zehn Millionen Reichsmark auf den vier Konten, und das war weit mehr, als ihre Gehälter es zuließen! Erneut umspielte Kurt Schmelz’ Lippen ein schmales Lächeln. Bedachte man dazu noch, dass das Ehepaar Koch aus armen Verhältnissen stammte und sich vor dem Krieg gebrauchte Möbel gekauft und nur Theaterfreikarten genutzt hatte, dann war ihr rasanter Aufstieg in die Kreise der Neureichen mehr als erklärungsbedürftig. Schließlich hatten sie in ihrer Heimatstadt Dresden die Victoria-Fabrik gekauft, in der Armeestiefel hergestellt wurden. Kurt Schmelz spürte, wie augenblicklich sein Blutdruck stieg, wie er feuchte Hände bekam und wie linksseitig Kopfschmerzen einsetzten, ehe sich der schnellere und stärkere Herzrhythmus einstellte. Er schloss die Lider, doch als er die Augen wieder öffnete, standen hinter einem Flimmern, das nur langsam abklang, noch immer die Ziffern der Zahlungen: schwarz auf weiß! Wie sollte Koch die erklären? Wie sollte überhaupt jemand solche gewaltigen Zahlungen erklären?
    „Also gut“, sagte er leise zu Tarnat: „Damit ist die Sache entschieden. Richtig?“
    „Richtig, Obersturmführer!“
    „Es bleibt keine Zeit mehr, Kassel und Berlin zu informieren, aber wir haben ja sowieso grünes Licht“, sagte Schmelz.
    „Sowieso“, fügte Tarnat hinzu.
    „Dann machen Sie den Brief fertig, Tarnat, ihr Talent ist nun gefragt“, sagte er und wandte sich den Männern der Poststube zu: „Meine Herren, noch fünf Minuten, dann kann die Post weg und Sie haben Feierabend!“
    Tarnat setzte sich in eine Ecke und legte neben ein weißes Blatt Papier einen der Briefe von Ilse Koch. Gekonnt imitierte er ihre Schrift, während er den Text abschrieb, den er sich zusammen mit Doktor Schmelz ausgedacht hatte: ‚Lieber Kurti! Ich habe nur wenig Zeit! Die Post geht gleich ab! Du mußt unverzueglich nach Buchenwald kommen! Brich noch jetzt, in dieser Sekunde, auf! Wir duerfen nicht telefonieren! Furchtbares ist hier im Gange, das unser beider Leben betrifft. Kurti, unser beider Leben steht auf dem Spiele! Setz Dich ins Auto und komme sofort, Kurti, hoerst Du, sofort! Deine weiße Taube Ilse.‘
    Letzteres war um so wichtiger, wie er und Schmelz herausgefunden hatten, weil dies ein Code war, von dem die beiden Briefeschreiber glaubten, er wäre nur ihnen bekannt. Ach,

Weitere Kostenlose Bücher