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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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Hass, der riesige Schatten warf. Doch mit Hass konnte mein Großvater viel besser leben als mit Liebe.
    Am schlimmsten muss für sie gewesen sein, dass mein Großvater einer Scheidung nie zustimmte, am schlimmsten und unverständlichsten, denn war es meinem Großvater doch bisher stets ein Leichtes gewesen, Beziehungen zu kappen, noch ehe sie zu solchen geworden waren. Doch konnte man dieses Zusammensein überhaupt eine Beziehung nennen?
    Vielleicht war es doch Ausdruck seiner Liebe, aber ganz sicher war es Vertrauen. Mein Großvater, der unter den ständigen Lügen und Widerlügen aufwuchs, aus denen das Weibliche besteht, der keinen Satz so nehmen konnte, wie er ausgesprochen worden war, der in der weiblichen Welt des Elternhauses die Position des Deppen inne hatte, beschloss also in der Hochzeitsnacht, meiner Großmutter all das Vertrauen aufzubürden, das sich in ihm angesammelt hatte. Sicherlich, irgendwie konnte man das Liebe nennen, war sie doch fortan die einzige Frau, mit der er sich abgab, während er sich bemühte, es in seiner Arbeitswelt und in seiner Freizeit nur noch mit Männern zu tun zu haben.
    Er hatte ihr zum dreißigsten Hochzeitstag einen breiten Bilderrahmen geschenkt, der einzig einen Vers von Goethe umfasste: „Will die Kraft dir schier versagen / Vorwärts! ist das rechte Wort.“
    Das war ein paar Wochen vor seinem Tod gewesen, doch ich greife vorweg und das will ich nicht, weil ich den Weg zum sicheren Ende nicht kenne.
    Während er also in seiner Frankfurter Wohnung dahinsiechte und qualvoll starb, alleingelassen, erkannte seine Frau in einem billigen Hotel am Frankfurter Bahnhof in diesem Spruch, den er ihr geschenkt hatte und vor dem sie geflohen war, die ganze Brutalität und Feigheit ihres Ehemannes. ‚Will die Kraft dir schier versagen, Vorwärts! ist das rechte Wort.‘
    Mein Großvater Kurt Schmelz, Jahrgangsbester und einer der Jüngsten, promovierte an der Universität Frankfurt am Main. Zeitgleich erschien die Veröffentlichung seiner Dissertation ‚Kriegspropaganda und Kriegsverhütung‘ als Band vier der wegweisenden Schriftenreihe ‚Wesen und Wirkungen in der Publizistik‘, in der er vehement für die Trennung von politischer Führung und Justiz eintrat. Er deckte am Beispiel des Spanisch-Amerikanischen Kriegs von achtzehnachtundneunzig auf, wie eine Propaganda einen ganzen Krieg entfesseln konnte: „In den Vereinigten Staaten von Nordamerika hatte das Zeitungskapital schon bald die Entdeckung gemacht, daß nichts den Zeitungsabsatz mehr hebt, als sensationelle Nachrichten. Der größte Lieferant an Sensationen ist aber der Krieg. Der Krieg ist für die Zeitungen das große Geschäft, weil er die Sensation laufend liefert, und die Nachrichten, gleichgültig ob sie günstig oder ungünstig sind, stets gleich begierige Leser finden. Sind keine sensationellen Ereignisse da, so müssen sie eben gemacht werden! Die Nutzanwendung aus diesen Erkenntnissen haben – in wahrhaft ‚amerikanischem‘ Maßstab – zuerst die Hearst und die Pulitzer Blätter gezogen. Sie begannen ihren Feldzug mit der Verpflichtung der besten Federn und Zeichner Amerikas. Diese wurden nach Cuba entsandt, wo wieder einer der, in der Geschichte des Landes unzähligen, Aufstände begonnen hatte, um in Wort und Bild über die Lage Bericht zu erstatten. Auf Genauigkeit kam es hierbei natürlich nicht an. Sensationell mußten die Berichte sein! Die beiden Unternehmen standen in einem furchtbaren Konkurrenzkampf. Jedes suchte dem anderen den Rang abzulaufen. Die Berichterstattung konnte deshalb gar nicht nervenaufpeitschend genug sein! So strömten denn die ungeheuerlichen Gräuelnachrichten und Gräuelzeichnungen von den angeblichen Leiden des ‚armen, kleinen‘ Cubas in das amerikanische Publikum. Ganzseitige Überschriften (!) und Bilder in Vierfarbdruck schrien angebliche Brutalität und Barbarei der Spanier ins Volk. Methoden der Meinungsbeeinflussung wurden angewandt, wie sie selbst der Weltkrieg nicht überboten hat. Die spanische Regierung traf ihre Gegenmaßnahmen, die zunächst in einer scharfen Handhabung der Zensur bestanden. Neues Agitationsmittel! ‚Spanien will die Verbreitung der Wahrheit hindern!‘ ‚Nun erst recht!‘ Man schmuggelte Nachrichten durch die Sperre. Wo dies nicht ging, erfand man sie. Was nun geschah, mußte kommen. Spanien schritt zur Verhaftung von Berichterstattern. Neuer Sturm in der Öffentlichkeit. Amerikanische Bürger rechtlos, der spanischen Willkürjustiz

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