Letzte Haut - Roman
solle zu Grunde gehen und ohne Erben bleiben. Und so kam es auch, und so bewahrheitete es sich, dass sie eine Hexe war, die zaubern und verfluchen konnte.
Die Flammen schlugen über ihrem Kopf zusammen, als sie den Fluch herausschrie, und alle, die anwesend waren, hielten sich verschreckt die Hände vor die Münder, denn dieser Fluch zeigte doch, dass sie eine Hexe war, die über verbotenen Zauber Bescheid wusste. Man bekreuzigte sich im ganzen Pommernland zwar, doch als die Prophezeiung der Hexe von Borcke dann wirklich eintraf, da war das Ende nahe, denn dem Pommernland wurde das Greifengeschlecht abgeschlagen, obwohl es zwölf Köpfe hatte! Das Pommernland war ohne Haupt.
Mitten im Dreißigjährigen Krieg wurde Pommern herrenlos, und da half es auch nichts, dass die minderjährige Tochter des Bürgermeisters von Greifswald wie ein Engel ins von der Pest verseuchte und vom Krieg verwahrloste Land kam, um in so schönen Versen zu singen, dass man sie als eine der ersten drei deutschen Poetinnen ausrief. Schon mit sechzehn Jahren verstarb Sibylla Schwarz an der Pest, aber ihr Trauergesang auf den Tod des pommerschen Herzogs und ihr zum Einschlaflied gewordenes Gedicht bleiben unvergessen: ‚Flieg, Maikäfer, flieg. Pommernland ist abgebrannt, flieg Maikäfer, flieg …‘
Der Engel kam zu spät, und alles nur, weil Sidonia von Borcke die Tochter des drittreichsten Mannes des Landes war. Sie trug unterm Herzen ein Kind des Bruders des Herzogs, doch eine Heirat wäre trotz ihres immensen Reichtums nicht standesgemäß gewesen. Sie aber erpresste das Herzogshaus trotzdem, so dass den Herrschenden nichts anderes übrig blieb, als die alte Frau, die nun eine junge Mutter war, als Hexe verbrennen zu lassen, während ihr Vater aus dem Land vertrieben wurde, was der Kasse des Herzogs und der Kasse des Bischofs von Cammin sehr gelegen kam, denn der Reichtum des edlen Mannes fiel damit ganz legal in ihre Hände. Und das wiederum freute die Stettiner, die jetzt wieder Aufträge erhielten, Straßen auszubessern, Gebrauchsgegenstände herzustellen, Kunststücke zu produzieren, Waffen zu fertigen, und so sah man großzügig über diesen eigenartigen Widerspruch hinwegsah: Der Bruder des Herzogs war jung und sehr schön. Sidonia von Borcke war schon alt und sehr hässlich. Sie war doppelt so alt wie er, sie hatte eine lange aber auch klobige Nase und wohnte in einem Kloster. Warum der Junge sich in solch eine Frau verlieben und sie sogar schwängern sollte, blieb solange ungeklärt, bis die Hexe ihren schrecklichen Fluch aussprach, der ja dann auch wahr wurde. Und so kam es, dass sich alles fügte, schrecklicher als je geplant, und sich niemand eingestand, dass der Reichtum derer von Borcke das Pommernland vor dem Bankrott rettete.
Beim Tode des letzten Herzogs von Pommern stand der Schwede schon im Land. Er versorgte sich in Pommern mit Lebensmitteln, er vergewaltigte die Hälfte der weiblichen Bevölkerung, er rekrutierte zwei Drittel der Männer zum Kriegsdienst gegen die Kaiserlichen, er plünderte das Land und das Land machte ihn immer wieder stark. Es waren also die Pommern, die diesen Krieg zu einem so langen gemacht hatten, und es waren auch Pommern gewesen, die ihn in Gestalt der stolzen Stralsunder heraufbeschworen hatten. Schuld lag seit jenen Tagen über dem Land. Sühne knebelte es seither, denn nach dem Krieg wurden dem Schmetterling die Flügel herausgerissen. Der kleinere Flügel ging samt Stralsund und Greifswald und Rügen und Usedom an Schweden, der größere Flügel wurde samt Stettin und Rügenwalde und Cammin Brandenburg zugesprochen. Die Bayern, die auch ein Erbrecht geltend machten, gingen hingegen leer aus.
Doch so blieb es nicht. Dieses einstige Pommern verirrte sich in einer Odyssee, ohne sich je bewegt zu haben. Es hatte mit dem Tod des Herzogs aufgehört zu existieren und wurde in der Folge mal schwedisch und brandenburgisch, mal polnisch, preußisch, dänisch, dann wieder russisch, französisch, und ein Teil war sogar einmal mecklenburgisch. Nur bayerisch wurde es nie, am Ende aber waren die Einwohner so verwirrt, von all den anderen Sprachen und Dialekten durcheinandergebracht, dass sie nur noch mit den Schultern zuckten, wenn ein Fremder sie etwas fragte.
Es waren also die Pommern, die als erste und viel früher als alle anderen europäisch zu denken lernten. Hier, an der Odermündung, entstand im Verlauf der Jahrhunderte die Idee von einer europäischen Union. In Greifswald hatte Otto von
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