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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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Von da bin ich direkt angerufen worden, bin gefragt worden, was für einen Idioten ich denn da am Hals habe. Jawohl, am Hals! Ich habe erwidert, am Hals trifft es ganz gut! Mann, Himmler ist schon auf Sie aufmerksam geworden! Der Reichsführer! Er ruft mich Ihretwegen an, verdammt, als hätte ich nicht schon genug Scheiße am Hacken! Und nun das noch! Ich werde meinen Kopf nicht länger für Sie hinhalten. Sie haben mich hintergangen, obwohl ich zu Ihnen gestanden habe und Sie nicht gemeldet habe. Sie haben mich hintergangen! Ihre ständigen Berichte über angebliche Unterschlagungen in den Reihen der SS, alles nicht haltbar, nichts, was Sie beweisen konnten. Alles an den Haaren herbeigezogen! Wissen Sie, was Himmler zu mir am Telefon sagte? Er fragte mich, ob es besser sei, wenn der Schmelz, das sind Sie, mal für ein oder zwei Jahre in einem KZ verschwände, damit er Gelegenheit habe, sich zu bessern. Das hat er mich gefragt, und ich gutmütiger Trottel sage noch, nein, ich glaube, das wäre nicht besser. Warum mache ich es mir mit Ihnen so schwer? Können Sie nicht einfach wie alle im Strom schwimmen? Müssen Sie dauernd trampeln und stoßen und alles kaputt machen?“
    „Was Recht ist, muss Recht bleiben!“
    „Ach, halten Sie die Schnauze. Ich hab genug von Ihnen! Mensch, noch nicht begriffen: Gesetze ändern sich! Und Sie hängen den alten Gesetzen nach! Bilden Sie sich weiter, nehmen Sie sich die neuen Gesetzestexte vor. Sie können nur froh sein, dass der Führer noch nicht genug Richter hat und auf solche wie Sie angewiesen ist, aber lange wird das auch nicht mehr gehen. Ändern Sie sich, verdammt, oder Sie werden geändert, kapiert?“
    „Kapiert.“
    „Mann, wir bilden unsere eigene Elite aus. Noch ein, zwei Jahre und dann wird vom alten Deutschland nichts mehr übrig sein, gar nichts! Schmelz, Sie waren so dicht davor, weggesperrt zu werden, das glauben Sie gar nicht, so dicht! Und jeder andere hätte gesagt, ja, Reichsführer, ganz recht, Reichsführer, aber ich Vollidiot, wegen Ihnen habe ich dem Reichsführer widersprochen! Widersprochen! – Das ist vielleicht eine Scheiße, kann ich Ihnen sagen, das ist vielleicht ein Mist! – Ich widerspreche Himmler! Wegen einem Nichtsnutz wie Ihnen!“
    „Obergruppenführer, es läuft aber alles aus dem Ruder! Was soll man denn da Ihrer Meinung nach machen?“
    „Na, die Schnauze halten, nicht auffallen, marschieren, immer weiter marschieren, schön in Reih und Glied bleiben, marschieren, denn nur wer zurückfällt, der fällt auf, aber das haben Sie ja nie gelernt! Aber wissen Sie was, das werden Sie jetzt lernen!“
    Er warf Schmelz einen verschlossenen Umschlag hin, den dieser erst ignorierte. Ungeduldig winkte Krüger mit der Hand, Schmelz solle ihn aufheben und lesen.
    Zögernd bückte sich Schmelz und nahm den dicken Brief. Die Adresse war mit Maschine geschrieben. Der Absender war das Hauptamt in Berlin.
    „Sonderappell“, sagte Krüger: „Los, kommen Sie, Sie sind die Hauptperson! Abmarsch! – Lesen Sie unterwegs, Obersturmführer! – Sie dürfen auf keinen Fall fehlen.“
    Als Krüger den Dienstgrad nannte, machte Kurt Schmelz etwas in Krügers Stimme so hellhörig, dass er das Kuvert mit klopfendem Herzen öffnete.
    Die ganze Ansprache, das war doch kein normaler Anschiss gewesen! Er hatte schon so viele Anschisse Krügers über sich ergehen lassen, aber dieser war anders gewesen, völlig anders. Am Ende fehle die Gutmütigkeit, das Onkelhafte, meinte Schmelz, der den Brief langsam las und schnell zu atmen vergaß.
    Er war degradiert.
    Zum einfachen Sturmmann.
    Und er war versetzt.
    Versetzt an die Ostfront.
    Er holte tief Luft und spürte, wie ihm das Herz bis in die Schläfen dröhnte.
    Aus.
    Alles aus.
    Er sollte verheizt werden.
    Nur gut, dass er keinen Vater hatte, dem er Rechenschaft schuldig war.
    Nur gut, dass er eine Mutter hatte, die keinen Pfifferling auf ihn setzte.
    Nur gut, dass er keine Freunde und keine Frau und keine Kinder hatte.
    Nur gut, dass es ihn als Menschen gar nicht gab. Nur gut, dass er nur ein Richter von vielen war und überhaupt nichts Einzigartiges vorzuweisen hatte.
    Degradiert.
    „Es tut mir leid“, sagte Krüger, als sie auf dem Innenhof ankamen, wo schon die ganze Mannschaft versammelt war und stillstand: „Sie leisten hier noch bis Mitte August Dienst, haben dann zwei Wochen Urlaub, um sich dann ausgeruht am ersten September einundvierzig bei der Division Wiking zu melden, die an der Ostfront stationiert

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