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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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er konnte hier nicht liegen bleiben, Schmelz wusste schließlich nicht, was ihn in dieser Nacht, die nun hereingebrochen war, noch alles erwartete.
    Und obwohl er es nur ahnte, wollte er doch aufs Schlimmste vorbereitet sein. Als Mann des Pragmatismus war ihm die Vorbereitung auf alle Möglichkeiten ein ernstes Bedürfnis. Sicherte denn nicht allein sie das Überleben?
    Doktor Kurt Schmelz stützte sich auf eine Hand, keuchte und genoss diesen Moment, da sich nichts an seinem hautlosen Oberkörper rieb. Er sah in den Spiegel, sah durch das verwischte Blut, sah einen von Muskeln, Sehnen und Knochen ausgefüllten Kopf, dem das Gesicht fehlte. Doch grotesk, meinte er, wie die Augenlider da herausstechen. Er nahm eines von ihnen zwischen die Finger und zerrte verbissen an diesem Lid, bis es riss.
    Doktor Kurt Schmelz betrachtete es, wunderte sich, wie lang die Wimpern waren, ehe er das Stück Fleisch gegen den Spiegel warf, der aber nicht zerbrach, von dem es lediglich abprallte und im Staub liegen blieb. Wieso hatte auch Anna nie unterm Spiegel so richtig sauber gemacht? All der Dreck. Jetzt war da alles voller Staub! Eine dicke Schicht! Alles, jetzt wurde alles zu Staub. Doktor Kurt Schmelz malte darin herum, bis ihm die Gegenwart erneut verschwamm.
    Muttersohn, mein Großvater, Sturmmann Kurt Schmelz, begriff, er war ein Muttersohn und kein Mann unter Männern, weil er nicht aufgewachsen war unter Männern. Die Familie bestand aus Frauen, den Rest der Zeit verbrachte er mit Gleichaltrigen, die selbst vollauf damit beschäftigt waren, ihre eigene Männlichkeit zu finden und zu formen, jawohl, das war seine Kindheit und Jugend gewesen; ein ewiges Irren und Verirren.
    So hatte er sich auch nie darum gekümmert, er hatte noch nicht einmal die Rolle des Mannes für sich definiert, und nun sollte er tun, was Männer tun. Er sollte in den Krieg ziehen. Er sollte töten.
    Der zweiunddreißigjährige Kurt Schmelz reiste am ersten September einundvierzig Richtung Osten, um mit Männern zu marschieren, um mit ihnen zu kämpfen und um zu überleben.
    Das Sterben sei nur erträglich, meinte er, wenn der Tod einen Sinn habe, einen echten und persönlichen, doch dieser Russlandfeldzug, der am zweiundzwanzigsten Juni einundvierzig begonnen habe, wie persönlich könne der schon sein. Sicher, es ging gut voran, das war ja die Hauptsache bei so einem Krieg. Der Anführer plante schon die Teilung der Sowjetunion, und Verbündete gab es auch genug. Da waren die Rumänen, die Ungarn, die Slowaken, die Italiener und die Finnen. Sogar Japaner vom anderen Ende dieser Welt. Die Spanier schickten die Blaue Division. Noch stand die Stalin Linie, die Heeresgruppen Nord und Süd kamen zwar nicht mehr ganz so gut voran, aber die Heeresgruppe Mitte war doch schon so gut wie durch. Was sollte passieren, es blieb doch alles in allem ein schneller Vormarsch in Russland.
    Bald werde Leningrad dem Erdboden gleich gemacht sein und den Finnen übergeben, und Moskau sei auch schon so gut wie eingenommen, meinte auch Sturmmann Schmelz, dem an diesem ersten September einundvierzig kaum Zeit blieb, sich die Stiefel noch einmal nachzubinden, wie es immer so schön hieß, schickte ihn doch ein Hauptsturmführer entlang der Front zu einem Standartenoberjunker, dieser zu einem Oberscharführer und jener zu einem Rottenführer, der ihn anwies, zu einem Trupp Sturmmänner zu robben, den Kopf ja unten zu behalten und links der Brücke die Stellung auf jeden Fall zu halten. Der Brückenkopf von Dnjepropetrowsk sei kriegsentscheidend, der Russe versuche schon seit Tagen, hier über den Dnjepr zu kommen, aber das werde ihm nicht gelingen. „Und warum nicht?“, fügte der Rottenführer hinzu: „Weil wir übersetzen werden, sobald der da drüben Schwäche zeigt. Wir lassen ihn anrennen, bis wir dann losrennen werden! Kapiert?“
    Schmelz zog die Augenbrauen nach oben, wobei ihm der Stahlhelm nach vorne rutschte und er einen Moment lang nichts sehen konnte.
    „Mann“, schrie der Rottenführer ihn an: „Weil wir hier sind! Die Division Wiking! Ist doch klar! – Los jetzt, ab zu deinen Kameraden, die brauchen dich! Und du hältst die Stellung, kapiert! Auch wenn du als einziger übrigbleibst, dann klemmst du dich hinter das Maschinengewehr und rasierst das gegenüberliegende Ufer sauber ab, sobald du einen Iwan siehst, kapiert! Kapiert?“
    „Kapiert!“
    „Zu Befehl heißt das, kapiert!“
    „Kapiert! Zu Befehl heißt das! – Eine Frage noch, wo lasse ich mein

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