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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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in der Hölle von Ischun verloren Tausende Kameraden von Sturmmann Schmelz das Leben, der sich aber auf dem Weg nach Nordosten befand. Von solcherlei Pyrrhussiegen blieb er vorerst verschont. Kriegsdaten, die ihn verwirrten, Namen von Schlachten, Namen von Orten, all diese Informationen, sie brachten ihn durcheinander, sie machten ihn hilflos, er blieb dabei, wirklich sei nur, was über Kimme und Korn sichtbar sei, und richtig sei nur, was der Rottenführer sage.
    Sturmmann Schmelz, größer als die meisten seiner Kameraden, humpelte dem Feind hinterher, warf sich ihm entgegen und bekämpfte ihn, wo er nur konnte, während er sich allmählich an den Verlust seiner beiden Zehen gewöhnte. Auch heilte der Oberschenkeldurchschuss schließlich, und alles in allem, meinte Sturmmann Schmelz, hätte es ihn auch schlimmer treffen können.
    Das Reden stellte er nun völlig ein, fest davon überzeugt, dass es sich an der Front nicht lohne, Freundschaften zu schließen. Immer wieder krepierten die Männer, mit denen er Sätze ausgetauscht hatte, und schließlich bellte er nur noch die Übersetzungen der Befehle von Rottenführer Grass, wobei er fast immer die gleichen Worte benutzte.
    Dennoch war niemand wütend auf ihn. Sturmmann Schmelz hatte die beste Stellung unter den einfachen Soldaten der gesamten Division. Überall, wo er auftauchte, wurde er nur der Richter genannt. Es war durchgesickert, dass er einen Mann freigesprochen habe, der sich mit einer jungen, hübschen Polin eingelassen habe, und es war durchgesickert, dass Sturmmann Schmelz die Konsequenz der Degradierung heldenhaft ertrage.
    Schönheit gehe vor Rasse, meinten die Frontkämpfer, die in der Tat von Sturmmann Schmelz eine Art Freibrief sahen, um sich über die Propaganda hinwegsetzen und hemmungslos vergewaltigen zu können, wo immer sich ihnen die Gelegenheit bot.
    Die Wikinger waren bald berüchtigt unter der sowjetischen Bevölkerung, und mehr als andere Einheiten mussten sie sich der nervigen und gefährlichen Partisanenangriffen erwehren, die die Division zu einer runden und fetten Kartoffel gemacht habe, von der man nach und nach die Schale abgeschnitten habe, um sie dann zu halbieren, zu vierteln und in Stücke zu häckseln, wie es mein Großvater später immer wieder beschrieb, der ja zu jenem Sturmmann Schmelz geworden war, den damals nicht interessiert habe, ob er Freibriefe für Missbrauch ausstelle oder nicht.
    Er nahm sich die Frauen des Feindes jedenfalls nicht vor, und er hielt für die Anderen auch nicht die Lampe, Sturmmann Schmelz hatte den eigenen Willen in Berdiansk endgültig zurückgelassen, er funktionierte, und das war alles, was man von ihm verlangen konnte. Er funktioniere und fertig, meinte er und erzählte bereitwillig und wiederholend seinen sich stets wechselnden Kameraden in den wenigen Gefechtspausen vom Aussehen der jungen Polin, die den Offizier Mittenmang so schamlos verführt habe, wie es einhellig Meinung aller Soldaten war. Mit jeder Beschreibung wurden die Lippen wulstiger, bis sie schließlich Autoreifen ähnelten, weichen Autoreifen, zwischen die man den Schwanz so schön schieben könnte. Die Brüste wuchsen zu Wasserbällen aus, und die Brustwarzen wurden schließlich knüppelhart und spitz wie fünfzehner Nagelenden, und der Blusenstoff war nichts weiter als ein nasser Schleier, der auf der braunen, straffen Haut klebte, über die sich wollüstig Flechten einer zarten Gänsehaut legten, während die großen und schönen Augen unschuldig und zugleich wissend aufblickten.
    „Noch irgendwelche Fragen?“, endete er jedes Mal, woraufhin er aber immer nur das Gestöhne der jungen Männer hörte, die im Schutz der Nacht onanierten.
    Die Division stürmte voran, und längst hatten die Soldaten die Orientierung verloren. Von der Schlacht ums Asowsche Meer abgezogen, hatten sie sich Partisanenkämpfe in der Askanischen Steppe geliefert, hetzten dann die hundertsechzig Kilometer dem Don entgegen, um die Rote Armee nicht zum Stillstand kommen zu lassen. Die ersten Verfolgungskämpfe in der Ostukraine fanden statt, Rostow wurde erobert, doch sie zogen weiter, wurde die Division Wiking doch in den zweiten Kämpfen im Donezbecken, in denen es hin und her ging, dringend erwartet. Die Rote Armee ließ sich nicht aus dem Becken vertreiben, die Verzweigungen der Flussmündungen verwirrten die Fremden zusätzlich, und im gesamten Flussdelta, das im Asowschen Meer mündete, wurden sie immer wieder von den Einheimischen überrascht

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