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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Holzstapel unter der Plane - neben der Remington .30-06 Springfield - lagen, wie Danny wusste, auch noch eine Motorsäge und eine Axt. In einer Scheide über der Sonnenblende auf der Fahrerseite klemmte ein dreißig Zentimeter langes Browning-Messer.
    »Warum sind Sie immer
bewaffnet,
Mr. Ketchum?«, fragte Carmella.
    Vielleicht erwischte sie Ketchum mit dem Wort
bewaffnet
auf dem falschen Fuß, denn in jener lange zurückliegenden Nacht war er weder bewaffnet noch gewappnet gewesen, als der Koch und dessen Doch-nicht-Cousine Rosie sich auf den zugefrorenen Fluss begaben und auf dem eisigen Parkett einen Squaredance tanzten. Und genau jetzt - in dem nach Bär stinkenden Pick-up - musste Ketchum Rosie vor Augen gehabt haben. Danny bemerkte, dass Ketchums verwilderter Bart schon wieder tränenfeucht war.
    »Ich habe ...
Fehler
gemacht«, begann der Flößer; er sprach stockend, gepresst. »Damit meine ich nicht nur Fehleinschätzungen oder dass ich etwas versprochen habe, was ich nachher nicht halten konnte, sondern echte
Aussetzer.«
    »Du
musst
die Geschichte nicht erzählen, Ketchum«, sagte Danny, doch der war jetzt nicht mehr zu bremsen.
    »Liebende sagen einander Dinge - du verstehst schon, Danny -, nur damit der andere ein gutes Gefühl hat, was eine bestimmte Situation angeht, auch wenn die Situation eben
nicht
gut ist oder die beiden
kein
gutes Gefühl haben sollten«, fuhr Ketchum fort. »Liebespaare stellen ihre eigenen Regeln auf, als wären diese willkürlichen Regeln so bewährt und zweckmäßig wie die Regeln, an die sich alle anderen zu halten versuchen - wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Eigentlich nicht«, antwortete Danny. Ihm fiel auf, dass die Abfuhrstraße zu dem ehemaligen Ort Twisted River überschwemmt worden war - vor Jahren schon -, und jetzt war der holprige Fahrweg von Flechten und Moosen überwuchert. Nur die Abzweigung nach links - zum Kochhaus - war noch intakt, und die nahm Ketchum.
    »Mit meiner linken Hand habe ich deine Mom berührt, Danny, nie mit der rechten Hand - mit der ich andere Frauen berührt hatte und noch berühren würde«, sagte Ketchum.
    »Stopp!«, rief Carmella. (Wenigstens hatte sie nicht »Meine Güte« gesagt, dachte Danny; er wusste, dass Ketchum nicht aufhören würde, nicht jetzt, wo er einmal angefangen hatte.)
    »Das war die erste Regel - ich war ihr linkshändiger Liebhaber«, erklärte Ketchum. »Für uns beide gehörte meine linke Hand
ihr
- es war Rosies Hand, somit meine wichtigste, meine
gute
Hand. Es war meine sanftere Hand - die Hand, die am wenigsten wie ich war«, sagte Ketchum. Es war die Hand, die weniger zugeschlagen hatte, dachte Danny, und ihr linker Zeigefinger hatte nie einen Abzug betätigt.
    »Verstehe«, sagte Danny.
    »Stopp, bitte«, flehte Carmella. (War das ein Würgreiz oder weinte sie?, überlegte Danny. Er war nicht auf den Gedanken gekommen, dass Carmella nicht die
Geschichte
aufhalten wollte, sondern den Pick-up.)
    »Du sagtest, es gab einen
Aussetzer.
Was war denn der
Fehler?«,
fragte Danny den alten Holzarbeiter.
    Doch jetzt kamen sie auf die Kuppe des Hügels, wo das Kochhaus gestanden hatte. Genau in diesem Moment - in dem rumpelnden, übelkeiterregenden Truck - sahen sie auf einmal das trügerisch ruhige Flussbecken vor sich und unterhalb des Beckens die Flussbiegung, wo Rosie und Angel untergegangen waren. Carmella schnappte beim Anblick des Wassers hörbar nach Luft. Für Danny war es ein Schock, dass dort nichts zu sehen war - kein einziges Brett des Kochhauses war übriggeblieben -, und was den Blick vom Hügel auf den Ort betraf: Da war kein Ort.
    »Der
Fehler?«,
rief Ketchum. »Es gab jedenfalls einen
Aussetzer!
Wir alle waren besoffen und krakeelten, als wir aufs Eis gingen, Danny - das weißt du doch, oder?«
    »Ja, Jane hat es mir erzählt«, sagte Danny.
    »Und ich sagte, das glaub ich zumindest, ich sagte zu Rosie: >Gib mir deine Hand.< Das hab ich zu ihr gesagt, ich schwör's«, erklärte Ketchum. »Aber weil ich betrunken war und Rechtshänder bin, griff ich instinktiv mit der rechten Hand nach ihr. Ich trug deinen Vater, aber er wollte auch auf dem Eis herumschlittern, deshalb setzte ich ihn ab.« Endlich hielt Ketchum den Truck an.
    Carmella stieß die Beifahrertür auf und übergab sich in das Gras; die arme Frau würgte immer weiter, während Danny den umgestürzten Schornstein des Kochhauses betrachtete. Wo früher der Pizzaofen gestanden hatte, reichten die Backsteine nur noch höchstens einen Meter

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