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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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italienischen Namen. Was den Eindruck des Kochs bestätigte, dass Angel schon einmal in einer Küche gearbeitet hatte, auch wenn das auf der Liste seiner Berufswünsche vielleicht nicht ganz oben gestanden haben mochte.
    Doch etwas anderes war
nicht
so, wie von Dominic Baciagalupo erwartet: Das Restaurant befand sich nicht in Toronto oder sonstwo in Ontario; es war ein italienisches Restaurant in Boston, Massachusetts, und der Name dieses Restaurants war eine noch größere Überraschung. Er bestand aus drei Wörtern, die Annunziata Saettas unehelicher Sohn gut kannte, weil seine Mutter sie immer mit einem bitteren Unterton geäußert hatte.
»Vicino di Napoli«,
hatte Nunzi gesagt - und damit die Gegend gemeint, in die sich Dominics Vater abgesetzt hatte -, und der Junge hatte an die Bergstädte und Provinzen »in der Nähe von Neapel« gedacht, aus denen sein Vater stammte (und in die er, nachdem er Mutter und Kind sitzengelassen hatte, angeblich wieder zurückgekehrt war). Und prompt fielen Dominic die Namen dieser Städte und Provinzen ein, die Annunziata im Schlaf genannt hatte - Benevento und Avellino.
    Aber war es denn möglich, dass sein nichtsnutziger Dad nicht weiter als bis zu einem italienischen Restaurant in der Hanover Street geflohen war, die Nunzi »die Hauptstraße des Bostoner North End« genannt hatte? Denn laut der Visitenkarte in Angels Portemonnaie hieß das Restaurant Vicino di Napoli - eindeutig eine neapolitanische Gaststätte -, und es lag in der Hanover Street, Nähe Cross Street. Die Straßennamen waren Dominic aus seiner Kindheit so vertraut wie Nunzis oft wiederholte Empfehlung, Petersilie
(prezzemolo)
ans Essen zu geben, oder ihre Erwähnung von Mamma Anna's und dem Europeo, zwei anderen Restaurants in der Hanover Street.
    Für den Koch war nichts zu abwegig, um nicht glaubhaft zu sein - nicht an einem Tag, an dem der zwölfjährige Daniel die Geliebte seines Vaters mit derselben Bratpfanne erschlagen hatte, die der Koch früher einmal so legendär verwendet hatte. (Wer würde schon glauben, dass er seine inzwischen verstorbene Frau vor einem Bären gerettet hatte?) Dennoch war Dominic nicht auf das letzte Dokument vorbereitet, das er in Angel Popes Portemonnaie fand. Wenn der Koch das richtig sah, war es eine Sommerfahrkarte für das Bostoner Straßen- und U-Bahn-Netz - ein »Sommerticket«, wie seine Mutter so etwas genannt hatte. Auf der Fahrkarte stand, dass ihr Inhaber im Sommer 1953 noch keine 16 Jahre alt gewesen war, und zum Beweis stand da Angels Geburtsdatum. Der Junge war am 16. Februar 1939 geboren, somit war Angel erst kürzlich 15 geworden. Der Junge musste also schon mit 14 von zu Hause fortgelaufen sein - falls er wirklich fortgelaufen war. (Und natürlich konnte man unmöglich wissen, ob der tote Junge tatsächlich aus Boston stammte, obwohl das Sommerticket und die Visitenkarte des Vicino di Napoli ein deutliches Indiz dafür waren.)
    Doch am meisten verblüffte Dominic Baciagalupo Angels richtiger Name - denn der war gar nicht Angel Pope, sondern
     
    Angelù del popolo
     
    »Wer?«, fragte Danny, als sein Vater den Namen auf dem Sommerticket laut vorlas.
    Der Koch wusste, dass Del Popolo »des Volkes« hieß und dass Pope eine gängige Amerikanisierung des sizilianischen Nachnamens war. Del Popolo war zwar wahrscheinlich, aber nicht zwangsläufig sizilianischen Ursprungs, aber Angelù war auf jeden Fall ein sizilianischer Vorname. Hatte der Junge in einem sizilianischen Restaurant gearbeitet? (Mit 14 durfte man schon einen Teilzeitjob haben.) Aber warum war er weggelaufen? Das Foto im Portemonnaie zeigte, dass er seine Mom geliebt hatte.
    Doch seinem Sohn sagte der Koch nur: »Anscheinend war Angel nicht der, als der er sich ausgegeben hat, Daniel.« Dominic ließ Danny einen Blick auf das Ticket werfen, das neben der Visitenkarte des Vicino di Napoli ihr einziger Anhaltspunkt war, falls sie Angelù Del Popolos Familie finden wollten.
    Aber im Augenblick hatten sie ein dringlicheres Problem. Wo zum Teufel steckte Ketchum?, fragte sich Dominic. Wie lange konnten sie es sich noch leisten, hier zu warten? Was wäre, wenn Constable Carl gar nicht so betrunken gewesen war? Und was wäre, wenn der Cowboy Indianer-Janes Leiche zwar gefunden, aber sofort gewusst hatte, dass er selbst ihr nichts angetan hatte, wenigstens nicht letzte Nacht?
    Welche schriftliche Nachricht an Ketchum konnte der Koch schon auf Angels Leichnam zurücklassen, wenn gar nicht sicher war, dass

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