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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sah aus wie eine teilweise gerupfte Eule. »Als Kind«, erzählte Mr. Leary seinen Schülern, »hat man mir ein großes Wörterbuch auf den Kopf geschlagen, woher zweifellos meine innige Liebe zu Wörtern rührt.«
    Die Schüler der siebten wie der achten Klasse nannten ihn »O«, da Mr. Leary das O' aus seinem Namen gestrichen hatte. Diese rüpelhaften Jungs schrieben zahllose O's an die Tafel, wenn Mr. Leary nicht im Klassenzimmer war.
    »O!«, riefen sie laut, aber nur hinter seinem Rücken.
    Warum das den ehemaligen Mr. O'Leary so quälte, verstand Danny nicht, auch störte ihn das fallen gelassene O' nicht sonderlich. (Man musste nur an Angel denken und an all das, was
er
aus seinem Namen gestrichen hatte. Glaubten diese Italienerkinder etwa, dass nur Iren gelegentlich versuchten, ihre Herkunft zu kaschieren?)
    Doch Mr. Leary hielt Daniel Baciagalupo vor allem deshalb für einen so ausgezeichneten Schüler, weil der Junge so gern schrieb. Und er schrieb und schrieb. In den siebten und achten Klassen der Mickey hatte Mr. Leary so etwas noch nie erlebt. Der Junge schrieb wie
besessen -
oder wenigstens wie
versessen.
    Klar, worüber Danny schrieb, verstörte Mr. Leary nicht selten, doch seine Geschichten - von denen viele weit hergeholt waren, die meisten Gewalt und alle übermäßig viel Sex enthielten, was sich für sein Alter keineswegs geziemte - waren ausnahmslos gut geschrieben und anschaulich. Der Junge war ein geborener Geschichtenerzähler; Mr. Leary wollte ihm einfach nur helfen, die Grammatik und das restliche
Handwerk
des Schreibens zu meistern. In Exeter, so hatte Mr. Leary gehört, war man in Sachen Grammatik äußerst pingelig. Man legte dort besonders großen Wert auf Praxis - jeden Tag musste man über irgendetwas schreiben.
    Als Mr. Leary an die Zulassungsstelle in Exeter schrieb, erwähnte er nicht, welche Themen Dan in seinen Schreibversuchen behandelte. Exeter interessierte sich ohnehin kaum für das sogenannte »kreative Schreiben«. Mr. Leary nahm an, dass man dort dem Essay höchste Priorität einräumte. Die Michelangelo School, an der Daniel Baciagalupo ein so herausragender Schüler war, liege in einem Viertel, wo hauptsächlich Italoamerikaner wohnten. (Mr. Leary achtete darauf, nicht das Wort
Einwanderer
zu verwenden, obwohl er das natürlich meinte.) Diese Leute neigten zu Faulheit und Übertreibung, wollte Mr. Leary Exeter vermitteln. Der junge Baciagalupo aber sei »anders als die anderen«.
    Wenn man diesen Italienern Glauben schenkte, so deutete Mr. Leary an, dann hatten sie alle mit Ratten (und anderem ekligem Ungeziefer) im Zwischendeck der Schiffe gehaust, die sie nach Amerika brachten, und waren allesamt Waisen oder sonst mutterseelenallein angekommen, mit nichts als ein paar jämmerlichen Lire in der Tasche. Und auch wenn viele der jungen Mädchen hübsch waren, wurden sie als Frauen durchweg entsetzlich dick, weil sie zu viel Pasta aßen und ihren Appetit nicht zügelten. Letzteres, vermutete Mr. Leary, beschränkte sich nicht nur aufs Essen. Um ehrlich zu sein, diese Italiener waren nicht so fleißig wie
frühere
Einwanderer - die Iren. Mr. Leary teilte das den Zulassungsleuten in Exeter zwar nicht
direkt
mit, aber er ließ einige seiner Vorurteile durchscheinen, derweil er ein Loblied auf Daniel Baciagalupos Talente und seinen Charakter anstimmte und auch kurz die »Schwierigkeiten« erwähnte, mit denen der Junge »zu Hause« konfrontiert sei und fertig werden müsse.
    Es gebe einen alleinerziehenden Vater - »einen nicht sehr mitteilsamen Koch«, wie ihn Mr. Leary charakterisierte. Dieser Koch lebe mit einer Frau zusammen, laut Mr. Leary einer »Witwe, die eine Reihe von Schicksalsschlägen hinnehmen musste«; kurzum, wenn es je einen würdigen Kandidaten für den beneidenswerten Status eines Vollstipendiaten gegeben habe, dann sei es Daniel Baciagalupo! Der raffinierte Mr. Leary war sich seiner Vorurteile nicht nur bewusst, er teilte sie Exeter auch bewusst mit. Ihm war daran gelegen, Bostons North End als eine Gegend darzustellen, aus der man Danny
retten
müsse. Mr. Leary wollte jemanden aus Exeter dazu bringen, vorbeizukommen und sich die Michelangelo School anzusehen - selbst wenn dann offenbar würde, mit wie wenig Respekt man Mr. Leary dort behandelte. Wenn nämlich ein Mensch von der Stipendienkommission Daniel Baciagalupo in Gesellschaft dieser ungezogenen Jungen von der Mickey sah - und, was genauso wichtig war, den angehenden Schriftsteller in dem lauten,

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