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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Danny schon einen Job - als Dozent für kreatives Schreiben und einige andere Lehrveranstaltungen, und zwar an einem kleinen, auf Geisteswissenschaften spezialisierten College in Vermont. Ehe er sich um diese Stelle bewarb, hatte er von dem College noch nie etwas gehört, doch mit einem Erstlingsroman, der demnächst bei Random House erscheinen würde, und einem Masterabschluss von einem renommierten Literaturinstitut wie dem von Iowa - nun, Danny würde College-Dozent werden. Der junge Schriftsteller war froh, nach Neuengland zurückzukehren. Sein Dad und Carmella fehlten ihm - und wer weiß, vielleicht bekam er sogar Ketchum häufiger zu sehen. Seit jenem schrecklichen Aprilsonntag, als der Junge und sein Dad aus Twisted River geflohen waren, hatte Danny Ketchum nur ein Mal gesehen.
    Ketchum war in Durham aufgetaucht, als Danny sein Studium an der University of New Hampshire begann. Der Holzfäller, er war damals Mitte vierzig, hatte Danny in seinem Studentenwohnheim aufgesucht und mürrisch verkündet: »Dein Dad hat mir erzählt, du hättest nie gelernt, auf einer richtigen Straße zu fahren.«
    »Ketchum, in Boston hatten wir kein Auto - wir haben den Chieftain noch in der Woche verkauft, als wir ankamen -, und in einem Internat wie Exeter hat man keine Zeit für Fahrstunden.«
    »Heiliger Dünnschiss!«, rief Ketchum. »Mit einem Studenten, der keinen Führerschein hat, will ich nichts zu tun haben!«
    Dann bekam Danny von Ketchum in dessen altem Pick-up Fahrstunden. Für einen jungen Mann, dessen Fahrkünste sich bisher auf Automatikwagen und auf die Holzabfuhrstraßen um Twisted River beschränkt hatten, war das ein hartes Stück Arbeit. In der guten Woche, die Ketchum in Durham blieb, wohnte er in seinem Truck - »genau wie seinerzeit in den Wanigans«, sagte der Holzarbeiter. Die Parkplatzwächter der University of New Hampshire verpassten ihm zweimal ein Knöllchen, als der Holzfäller auf der Ladefläche seines Pick-ups schlief. Ketchum gab die Knöllchen an Danny weiter. »Die kannst du bezahlen«, teilte Ketchum dem jungen Mann mit. »Die Fahrstunden sind gratis.« Danny ärgerte es, dass er den Holzfäller in sieben Jahren nur ein Mal gesehen hatte. Und mittlerweile waren sechs weitere Jahre vergangen.
    Wie kann man jemanden
nicht sehen,
der einem so viel bedeutet wie er?, dachte Daniel in Iowa, während der Frühlingsregen fiel. Noch unbegreiflicher war, dass sein Vater Ketchum in 13 Jahren kein einziges Mal gesehen hatte. Was war mit den beiden nur los? Doch Danny war nicht ganz bei der Sache - mit dem Kopf war er noch halb in dem Chaoskapitel, in dem er gerade herumpfuschte.
     
    Der junge Schriftsteller machte einen Zeitsprung zu dem ersten Treffen seiner Familie mit Mr. Carlisle, dem Stipendiumsmenschen von Exeter, das ebenfalls im Vicino di Napoli stattgefunden hatte. Vielleicht hatte Danny auch Carmella für seine Aufnahme ins Internat zu danken, denn jemandem wie Carmella war Mr. Carlisle noch nie begegnet - jedenfalls nicht in Exeter, New Hampshire -, und der betörte Mann mochte sich gedacht haben: Wenn der junge Baciagalupo nicht nach Exeter kommt, sehe ich diese Frau vielleicht nie wieder!
    Später war Mr. Carlisle am Boden zerstört, weil Carmella Danny nicht begleitete, als der Junge zu einem ersten Besuch ins Internat kam. Dominic war ebenfalls nicht mitgekommen. Wie auch? In Boston war der 17. März nicht einfach nur St. Patrick's Day. (Die jungen Iren, die grünes Bier auf die Straßen kotzten, waren Mr. Leary jedes Jahr aufs Neue peinlich.) An diesem Datum war auch noch der Evacuation Day, der im North End groß gefeiert wurde, weil die Geschütze, die die britischen Schiffe dazu zwangen, den Bostoner Hafen zu räumen, 1774 oder 1775 — Danny konnte sich das Jahr nie merken, tatsächlich war es 1776 gewesen -, auf dem Copps-Hill-Friedhof standen. Wenn man in Boston wohnte, bekam man am Evacuation Day schulfrei, genau wie am Bunker Hill Day.
    In jenem Jahr, 1957, fiel der Evacuation Day auf einen Sonntag. Montag war daher schulfrei, und Mr. Leary hatte Danny mit dem Zug nach Exeter begleitet. (An solchen Feiertagen konnten Dominic und Carmella unmöglich das Restaurant verlassen.) Die unkonzentrierten Gedanken des Schriftstellers waren wieder einmal vorgeprescht, zu der Zugfahrt mit Mr. Leary nach Exeter - und zum ersten Blick auf das altehrwürdige Internat. Mr. Carlisle hatte sie überaus freundlich empfangen, aber bestimmt schmerzlich bedauert, dass Carmella nicht mitgekommen

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