Letzte Nacht
muss noch die Kaffeetassen wegräumen, stürmt aber fluchend und mit leeren Händen geradewegs in den Pausenraum. Das ist einer ihrer vergleichsweise leichteren Wutanfälle. Erst als sie einen Augenblick später in ihrer Jacke und mit der Tasche über der Schulter wieder auftaucht, wird ihm klar, dass sie’s ernst meint.
«Lass gut sein», sagt er.
«Ich will meinen Scheck haben.»
«Das ist doch nicht dein Ernst.»
«Willst du sehen, wie viel ich heute verdient hab?» Drohend hält sie ihm ein zusammengefaltetes Bündel Eindollarscheine vor die Nase. Es können nicht mehr als zwanzig Dollar sein.
«War nicht viel los.»
«Das gilt aber nicht für alle, nicht wahr? Bloß für mich. Und woran liegt das wohl?» Sie kratzt sich an der Schläfe, streckt die flache Hand wie ein Game‐Show‐Model in Richtung Kendra, die mit Dom an der Bar steht, und deutet dann auf Manny. Es geschieht ihm im Grunde recht, weil er sie von der großen Gruppe ferngehalten hat, und er kann ihr auch nicht versprechen, es beim Abendessen wieder gutzumachen. «Ich muß mich ja gar nicht wundern. Ich meine, die eine ist deine Freundin, und die andere ist deine Mutter, also bleibe ich außen vor. Es macht mir nichts aus, in einer beschissenen Schicht zu arbeiten, solange ich die faire Chance hab, ein bisschen Geld zu verdienen, und du weißt, das stimmt, denn ich hab letzten Monat jeden Mittag gearbeitet, statt einfach ‹Leck mich› zu sagen. Ich wusste, dass du zu wenig Leute hast. Deshalb bin ich auch heute gekommen, und guck dir mal an, was ich davon hab. Das war’s, mir reicht’ s. Ich will bloß meinen Scheck haben und nix wie weg. Du brauchst mich sowieso nicht.»
«Ich hab dir auch gute Schichten gegeben», sagt Manny.
Nicolette steht nur mit störrischer Miene da, ohne irgendwas zuzugeben. Er weiß, dass er sie bitten, vielleicht sogar anflehen sollte zu bleiben, aber das Mittagessen ist vorbei, es sind keine Gäste da, und es schneit heftig.
«Ich hol dir deinen Scheck», sagt er. «Hast du schon ausgestempelt?»
«Ja.»
Und hinten sieht er, dass es stimmt; sie hat nicht geblufft.
Jacquie und Roz wissen es schon, sie sitzen an dem Tisch im Pausenraum, als wäre alles in Ordnung.
«Tja», sagt Jacquie.
«Es ist ja nicht so, als hätte sie viel getan», sagt Roz, und vielleicht ist er zu weichherzig, denn er wünscht sich, Nicolette würde ihnen fehlen.
Er würde Nicolette gern die Hand schütteln, wie um ihren Streit beizulegen, aber sie nimmt bloß den Scheck, lässt ihn in ihre Tasche gleiten und zieht sich die Handschuhe an. Wie Fredo muss sie bis zur Bushaltestelle latschen und hat sich schon eingemummelt. Kendra und Dom haben sich nicht vom Fleck gerührt und geben das Publikum, als Manny Nicolette zur Tür begleitet.
«Danke», sagt er ihr unter vier Augen im Foyer, und nicht bloß aus Gewohnheit. Sie hat für ihn gearbeitet, und das weiß er zu schätzen.
«Leck mich», sagt Nicolette. «Du hast nicht Crystal, sondern mich gefeuert – darauf läuft’s doch hinaus –, und siehst du Crystal hier irgendwo? Nein, aber ich dumme Kuh bin da, also leck mich, Manny. Danke», äfft sie ihn nach, und das ist ihr letztes Wort.
Wie immer spürt er die anderen hinter seinem Rücken.
Er weiß, dass sie nicht alles hören können, doch er weiß auch, dass dieser verglaste Kasten den Tonfall seiner Antwort wie eine Trommel verbreiten wird. Am liebsten würde er sagen, dass er niemanden gefeuert, sondern um diese fünf Stellen hart gekämpft hat, und dass er ihr, ehrlich gesagt, jede andere vorgezogen hätte, sogar Le Ly, die kaum Englisch konnte.
«Viel Glück», sagt er, als sie in den Sturm hinausdrängt, und winkt steif zum Abschied. Während er ihr nachschaut, erscheint es ihm irgendwie nicht richtig, dass er statt Trauer oder Wut nur eine egoistische, teilnahmslose Erleichterung verspürt. Zumindest in diesem Fall kommt es ihm vor wie das Eingeständnis einer Niederlage.
Bei seiner Rückkehr fragt auch Kendra nach ihrem Scheck, und statt ihr zu sagen, dass sie ebenfalls verschwinden könne, geht er wortlos zum Safe, nimmt alle Schecks außer seinem und teilt sie aus, wirft sich die Jacke über und marschiert direkt an Roz und Jacquie vorbei – Roz ruft: «Hey, geh nicht so wütend weg!» –, marschiert durch den verlassenen Speiseraum und am unbesetzten Empfangspult vorbei, stapft durchs Foyer in den peitschenden, wirbelnden Schnee hinaus, rutscht in seinen nutzlosen Schuhen aus (ja, er muss die Schneefräse
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