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Letzte Nacht

Letzte Nacht

Titel: Letzte Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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vor dem Schaufenster steht, sieht er nach, ob ihm jemand einen Zettel auf den Rücken geklebt hat, und stellt fest, dass seine Jacke zerrissen ist. Nein, nicht zerrissen, sondern zerfetzt, denn als er sie auszieht und hochhält, um den Schaden zu untersuchen, sieht er, dass jemand das Leder mit einem unglaublich scharfen Messer vom Kragen bis runter zum Gürtel in einem langen, sauberen Schnitt aufgeschlitzt hat.
    Fredo. Hat wahrscheinlich gedacht, sie gehört Ty.
    «Arschloch», sagt Manny. Das lässt sich nicht mehr in Ordnung bringen, das Ding ist hinüber.
    Dieser bescheuerte Fredo, nicht mal das macht er richtig. Jetzt kann er seinen Scheck wirklich vergessen.
    Rechtlich gesehen weiß Manny nicht genau, wie das läuft, aber im Moment ist ihm das egal. Und im Moment kann er nichts machen, also legt er sich die Jacke über den Arm und geht weiter. Er will das Ganze jetzt nur noch hinter sich bringen.
    Im Kmart ist nicht viel los, aber das ist immer so. Der zweite Innenhof überrascht ihn, die offene Fläche unten für einen Chor hergerichtet – eine provisorische Bühne mit Tribüne und Notenständern –, aber menschenleer, als käme er für den Auftritt zu früh. Es sieht aus, als wäre der Raum soeben evakuiert worden. Nur eine Sicherheitsbeamtin sitzt auf einem der Klappstühle fürs Publikum, in der allerletzten Reihe am Gang, und isst etwas aus einem Stück Plastikfolie. Hier oben auf der zweiten Empore ist er einer von zwei Einkaufenden, die andere eine junge Weiße auf der gegenüberliegenden Seite, unterwegs in die entgegengesetzte Richtung, als würde sie vor ihm flüchten. Als er den Flügel betritt, in dem sich Zales befindet, hat er den Flur ganz für sich allein.
    Er befürchtet schon, dass geschlossen ist – als Strafe, weil er seinen Posten verlassen hat – und dass er an Mansour’s vorbei zurückgehen und es morgen nochmal probieren muss, aber hinter dem Tresen steht eine zierliche Blondine in schwarzem Kleid und mit Lippenstift, das Haar hinter den Ohren festgesteckt, damit man ihre schlichten Brillantohrstecker sieht – genau das, was Manny sucht.
    Obwohl sie die einzigen Leute im Laden sind, lässt sie ihn eine Weile die Glasvitrinen betrachten, bevor sie rü berkommt.
    «Kann ich Sie irgendwie helfen?»
    Wie jeder, der in New Britain aufgewachsen ist, erkennt Manny sofort einen polnischen Akzent. JADWEGA steht auf ihrem Namensschild. Sie hört sich an, als wäre sie noch nicht lange in Amerika, aber sie ist wunderschön – blaue Augen und zarte Figur – und äußerst selbstsicher. «Fier eine Freundin, ja?»
    Sie braucht nicht viele Worte, um Manny zu einem Paar Brillanten wie ihren eigenen für 179 Dollar zu lotsen («Die werden sie sehr glicklich machen»), und ehe er begreift, dass er mit ihr flirtet, bittet er sie, ihm die Ohrstecker vorzuführen. Sie erfüllt seinen Wunsch, dreht sich ins Profil und legt die manikürte Hand mit den blutroten Nägeln an den Hals wie bei QVC, erst die eine Seite und dann die andere. Bei Deena werden sie völlig anders aussehen, aber das spielt keine Rolle. Auch bei Jacquie würden sie anders aussehen. Manchmal zählt nicht der Gedanke, sondern bloß das Geschenk.
    «Die nehm ich», sagt Manny und wartet, während sie die schicke Schatulle als Geschenk verpackt.
    «Danke», sagt sie lächelnd und verabschiedet ihn. Er ist immer noch leicht verwirrt von dem, was gerade passiert ist, wie jemand, der aus einem Zauberbann erwacht.
    Er kann sich nicht vorstellen, eine solche Macht zu besitzen – wie Jacquie sie über ihn hatte, immer noch hat –, und glaubt, dass er in dieser Hinsicht immer hilflos, dumm und uncool sein wird. Aber er hat Deenas Geschenk, eingepackt und in einer Tüte, den verräterischen Kassenbeleg im Geldbeutel, und genau deswegen ist er hergekommen, egal, wie die Sache im Einzelnen abgelaufen ist.
    Und es ging schnell – ihm bleiben noch zwölf Minuten.
    Auf dem Rückweg sieht er vor Gingerbread House einen Kerl auf Krücken, der wie ein Biker aussieht, und ihm fällt ein, dass Eddie noch ein paar Lotteriescheine haben wollte. Oben werden nirgends welche verkauft, also fährt er mit der Rolltreppe nach unten und schlendert den Hauptflur entlang. Er braucht bloß einen Zeitungsstand, aber dort gibt’s nur ein nutzloses Waiden Books.
    Smoker’s World ist geschlossen. Er kann kaum glauben, dass im gesamten Einkaufszentrum niemand so etwas Simples wie Lotteriescheine verkauft, doch die Informationstafel bestätigt es. Am kürzesten

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