Letzte Nacht
oben in der Maschine, und Manny denkt, so werden Spielsüchtige geködert, denn einen Augenblick scheint der Traum wirklich zu sein, scheint die Möglichkeit zu bestehen, dass dieser frisch bedruckte Zettel ein völlig neues Leben für sie alle bereithalten könnte. Die Verkäuferin reicht ihm den Schein, und er glaubt, ihr ist ein Fehler unterlaufen. Er wollte fünf haben. Er will gerade etwas sagen, als er sieht, dass all seine Zahlen draufstehen, in der Mitte in rechteckiger Punktmatrix zusammengezwängt, wodurch der Schein ungefähr so offiziell aussieht, als wäre er aus dem Internet ausgedruckt worden.
Während sich die Verkäuferin wieder ihrem Gespräch zuwendet, steht er da und überprüft die Zahlen nochmal, dann steckt er den großen Zettel mit Deenas Kassenbeleg in seinen Geldbeutel, als hätten beide den gleichen Wert.
Der Rückweg kommt ihm länger vor, das Wetter kälter, aber vielleicht ist er bloß langsamer, und er drängt ins warme Kohl’ s, zieht die Jacke aus, und bei Penney’ s zieht er sie wieder an für das letzte bitterkalte Stück bis zum Lobster, einem in der Ferne leuchtenden Vorposten. Er ist genau pünktlich – auch jetzt, wo es keinen Sinn mehr hat, versucht er noch, mit gutem Beispiel voranzugehen.
Es ist zehn nach vier, die tote Zeit vor dem Abendessen, deshalb verwirrt es ihn zu sehen, dass ein Kleinbus auf ihr Stoppschild zugleitet, blinkt und dann in Richtung Ausfahrt auf die Zufahrtsstraße biegt. In der hereinbrechenden Dämmerung und dem Schnee ist er schwer zu erkennen, aber beim Abbiegen sind die weiße Stromlinien‐Verkleidung über dem Führerhaus, die großen Auslegerspiegel und die lange, kastenförmige Fahrgastkabine eines Kleinbusses unverkennbar. Die Fensterscheiben sind bestimmt groß und getönt, und obwohl er es aus dieser Entfernung nicht erkennen kann, weiß er, dass die Streifen an der Seite grün und blau sind, umrankt von einer sich schlängelnden Zeichentrickstraße mit gepunktetem gelben Mittelstreifen, und auf dem hinteren Seitenblech steht bestimmt – zu spät, denkt er – in flippiger I Love the 70s ‐Schrift die Aufforderung zu einem RIDE ON EASY STREET.
Bitte warten Sie, bis Sie zu Ihrem Platz gebracht werden Mit dem Fuß in der Tür überfällt Kendra ihn mit den schlechten Nachrichten. Sie hat die Jacke an, als wollte sie gerade losgehen und nach ihm suchen. Eddie ist weg, und sie geht auch. Ihre Mutter hat aus Bristol angerufen und gesagt, der Strom ist ausgefallen und sie soll unbedingt nach Hause kommen.
Sie schuldet ihm wohl keine Loyalität mehr (jetzt, wo sie ihren Scheck hat), außerdem kann er die Leute begrü ßen, also ist es okay. Obwohl er sich irgendwie verlassen fühlt, würde auch er nicht wollen, dass Deena oder seine Oma allein im Dunkeln sitzen, sofern die Geschichte wirklich stimmt.
«Und was ist mit Eddie?», fragt er und streift die Jacke ab, damit sie den Riss nicht sieht.
«Die hatten wohl Angst wegen dem Schnee. Es soll noch schlimmer werden.»
«Hat jemand angerufen?»
«Die sind einfach vorbeigekommen und haben gesagt, er muss mitkommen.»
«Ist sonst noch jemand weg?»
«Nein, aber ich glaub sowieso nicht, dass ihr Abendessen serviert.»
«Man kann nie wissen», sagt Manny lächelnd mit einem Schulterzucken, als war’ s nicht ernst gemeint.
«Ich muss los», sagt Kendra, und diesmal kann er ihr die Hand schütteln und sich für ihre Arbeit bedanken.
«Schon okay», stammelt sie und weicht zurück, als wäre er wahnsinnig. «Kommt gut nach Hause.»
«Du auch.»
Er bringt sie nicht zur Tür, sondern durchquert den Pausenraum, die Schatulle von Zales in der Tasche, verborgen vor Roz, die gerade ein Kreuzworträtsel löst und an einem Stück Limettenkuchen rumstochert.
«Was hast du besorgt?», fragt sie, ohne aufzublicken.
«Ist eine Überraschung», sagt er und drängt sich durch die Schwingtür in die Küche.
Er geht zur Garderobe, um Tys Jacke zu untersuchen.
Wenn sein Verdacht richtig ist, ist sie unversehrt. Dann muss er sich überlegen, ob er’s überhaupt jemandem erzählen soll. Er findet, dass es reichen dürfte, Fredos Scheck einzubehalten und ihm kein Zeugnis zu geben.
Er ergreift die Schulter von Tys Jacke und zieht den Kleiderbügel raus. Am Rücken sieht er einen taubenblauen Schlitz, sie ist genauso zerfetzt wie seine.
Scheißkerl. Nach allem, was er für ihn getan hat.
Jacquies und Roz’ Mantel und Lerons Armeejacke sind unversehrt. Nur seine und Tys Jacke sind kaputt, und
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