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Letzte Nacht

Letzte Nacht

Titel: Letzte Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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obwohl die Beweise eindeutig sind, würde sich Manny gern einreden, dass es ein Irrtum war.
    Er findet Ty an der offenen Hintertür, wo er mit Jacquie eine raucht, sein Hemd oben aufgeknöpft. Schnee treibt herein und schmilzt auf dem Fliesenfußboden. Eigentlich müssten sie draußen rauchen, aber heute nimmt er’s nicht so genau.
    «Wie war’ s im Einkaufszentrum?», fragt Jacquie.
    «Ist immer noch offen.»

    «Viele Leute da?»
    «Ein paar. Draußen ist’s wirklich nicht so schlimm.»
    Er zündet sich eine Zigarette an und lehnt sich mit ihnen an die Küchentheke, schnippt die Asche ins große Spülbecken, steht frierend im Wind, der zur Tür hereinpfeift. «Habt ihr schon was gegessen?», fragt er, doch er will bloß Zeit schinden. Er will die kaputten Jacken vor Jacquie geheimhalten (nicht bloß seine, sondern beide), als müsste er sonst sein Versagen eingestehen.
    «Kendra ist also weg», sagt er. «Wo sind Rich und Leron?»
    «Die sehen sich UConn an», sagt Ty und deutet mit dem Kopf zur Bar.
    «Frauen oder Männer?»
    «Was spielt das für eine Rolle?», sagt Jacquie, denn es ist ihr egal.
    «Männer, gegen Syracuse.»
    Sie reden weder über den nächsten Tag noch über den Olive Garden, es gilt die stillschweigende Vereinbarung, dass diese Themen für eine gemütliche Zigarettenpause zu ernst sind. Basketball ist unproblematischer, genauso wie über Kendra herzuziehen, weil sie früher abgehauen ist, oder sich an Suzanne zu erinnern, die einfach wahnsinnig und bösartig war. Sie lachen mit dem Stolz von Überlebenden, der harte Kern, und Manny ist froh.
    Schließlich schnippt Jacquie ihren Filter zur Tür hinaus, durchquert die Küche und geht in den Pausenraum.
    Manny schaut ihr nach, im Licht glänzt ihr straffes dunkles Haar. Es ist immer noch geheimnisvoll, wie ihr Körper unter der Uniform aussieht – jetzt vielleicht noch geheimnisvoller, aber vielleicht liegt das auch bloß an seiner Verwirrung, daran, dass sie sich mal so nahe standen.

    Die Tür zum Pausenraum schwingt zurück, und Jacquie ist verschwunden.
    «Ich muss dir was zeigen», sagt er zu Ty.
    Zuerst zeigt er ihm seine eigene Jacke. Ty lässt seine vom Bügel gleiten und schüttelt den Kopf, als hätte er’s wissen müssen – «Verdammter kleiner Scheißkerl» –, dann hängt er sie wieder über den Bügel und stürmt aus dem schmalen Flur direkt auf die Hintertür zu, als wollte er Fredo nachjagen. Manny folgt ihm, von seiner schieren Geschwindigkeit mitgerissen.
    Draußen ist es schon dunkel, die blasse Lampe über den Müllcontainern leuchtet herab und wirft Schatten auf den Schnee. Der Typ mit dem Schneepflug hat hier hinten schlampige Arbeit geleistet und nur die vordere Reihe und um die Ecke eine einzige Ausfahrtspur geräumt. Mannys Regal und Tys Supra sind fast zugeweht.
    Mehrere, halb zugeschneite Fußspuren verlaufen quer über die unberührte Fläche: Außer einer führen alle zum Müllcontainer, und dieser einen Spur folgt Ty, geht nebenher, als wollte er sie als Beweis erhalten. Sie endet zwischen den beiden Autos.
    «Das ist hoffentlich ein Scherz», sagt Ty und geht auf die Lücke zu.
    Manny befürchtet, dass Fredo die Wagen mit dem Schlüssel zerkratzt hat. Von hinten kann man das wegen des Schattens nicht erkennen. Der Schnee pappt immer noch richtig zusammen, sodass sich der kastenförmige Kofferraum des Regal und das Fließheck des Supra deutlich abzeichnen. Die Dächer und die Motorhauben sind unversehrt. Ty bleibt plötzlich vor ihm stehen, starrt irgendwas gebannt an, und Manny muss ihm über die Schulter blicken.

    In beiden schneeverkrusteten Windschutzscheiben klaffen dunkle, faustgroße Löcher. Aus Mannys Scheibe ragt ein Stiel mit gedrechseltem Holzgriff, den er zu kennen glaubt.
    «Was ist denn das?», sagt Ty und zieht das keulenartige silberne Ende des Kartoffelstampfers heraus.
    «Er hat sich um die Kartoffeln gekümmert.»
    Ty hält den Stampfer wie einen Hammer senkrecht in die Luft. «Er ist ein toter Mann.»
    Das Loch ist schartig, die Scheibe ringsherum eingedellt und zerknittert, als hätte Fredo mehrmals draufschlagen müssen, bis er durchkam. Manny begreift nicht, warum ihn irgendwer hassen sollte, und doch hat er das Gefühl, dass er, wenigstens teilweise, daran schuld ist.
    Das Armaturenbrett ist voll Schnee und spitzen blauen Scherben. Bei Ty sieht’ s genauso aus, nur ist das Loch auf der Beifahrerseite, da kann man leichter fahren. Manny verkneift sich zu sagen, dass er Glück gehabt

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