Letzte Nacht
dürfte es zu einem der Tankstellenläden am Highway sein – zur Mobil neben Friday’s oder der Citgo neben Daddy’s Junky Music, die wahrscheinlich näher liegt. Wenn er denselben Weg zurückgeht, dann Kohl’s durchquert und auf der Seite beim Ruby Tuesday’ s rausgeht, muss er nicht über den ganzen Parkplatz.
Also entscheidet er sich für Citgo und fühlte sich wie ein fahrender Ritter, der sich in ein Abenteuer stürzt. Er macht auf dem Absatz kehrt und geht wieder an Weathervane, Radio Shack und der leeren Bühne vorbei. Da er sich nicht zwischen bummelnden Leuten hindurchdrängen muss, kommt er schnell voran. Er betritt Kohl’s und folgt dem Labyrinth der Linoleumgänge zur Rückseite des Ladens, wo die Ausgänge auf den Parkplatz führen. Es ist schon fast dunkel, aber seine Uhr zeigt erst kurz vor vier an. Ein Auto fährt mit eingeschalteten Scheinwerfern und schwingenden Scheibenwischern vorbei, die Reifen voller Schnee. Er bleibt auf der nassen Matte vor dem Ausgang stehen, um den Reißverschluss seiner ruinierten Jacke zuzuziehen, wünscht, er hätte einen Hut dabei, stößt dann die Tür auf und stürmt nach drau ßen.
Wer hier gestreut hat, hat beschissene Arbeit geleistet. Der Gehsteig ist nicht deutlich vom Parkplatz abgegrenzt, es geht einfach runter, die Bordsteinkante unterbrochen von einer sanft abfallenden Rollstuhlrampe. Der Schnee liegt gut und gern dreißig Zentimeter hoch, und Manny stapft zur Mitte der Straße, die Socken schon voll Wasser gesogen. Vielleicht war das doch keine so gute Idee. Es ist noch früh – noch kann er umkehren –, aber als er auf der Fahrspur ist, geht’s. Das Citgo‐Schild ist beleuchtet, der Schnee weht durch den Lichtschein. Er stapft los, wartet auf einen Schneepflug, der hinter ihm angerumpelt kommt, und behält das Schild im Blick wie eine Fata Morgana, aus Angst, es könnte verschwinden.
Schneeflocken wehen aus der Dunkelheit, und er muss blinzeln, sie schmelzen auf seiner Haut, und dieses Gefühl hat etwas Natürliches, Angenehmes. Als er sich mit rutschenden Schuhen und eiskalten Fingern die Straße entlangschleppt, ist er so glücklich wie schon den ganzen Tag.
Das einzige Auto auf dem Highway ist ein Übertragungswagen von Channel 30 mit rasselnden Schneeketten und einer Satellitenschüssel auf dem Dach. Die Straße ist zerfurcht und weiß. Die summenden Ampeln springen für niemanden um.
Die Kassiererin in ihrer Citgo‐Uniform ist allein im Laden, telefoniert mit ihrem Handy und wirkt nicht überrascht, als sie ihn aus dem Sturm hereinschlurfen sieht. Hinter ihr an der Wand stehen ein Dutzend verschlossene Behälter voll glänzender Rubbellose. Er hat noch nie Lotterie gespielt – seine Oma hat immer gesagt, das wäre was für Idioten wie seinen Onkel Rudy – und muss die Frau nach einem Powerball‐Formular fragen.
Sie hört nicht auf zu reden, sondern deutet bloß auf eine Anzeige, auf der in Leuchtschrift der augenblickliche Jackpot steht: 285 Millionen Dollar.
Neun Gewinnmöglichkeiten, verspricht das Formular und führt die Gewinnchancen auf. Er muss fünf Zahlen zwischen 1 und 55 ankreuzen und dann noch eine Zahl zwischen 1 und 42 – die rote Powerball‐Zahl. Wenn alle stimmen, gewinnt Eddie den großen Preis. Wenn die fünf weißen Zahlen stimmen, gewinnt er hunderttausend Dollar. Bei vier weißen und der Powerball‐Zahl gibt’s fünftausend. Die anderen sechs Möglichkeiten bringen hundert Dollar oder noch weniger und sind nicht besonders aufregend. Eddie hat gesagt, er hätte fünf Stück, also kauft ihm Manny noch fünf und verdoppelt damit seine Chancen, aber welche Zahlen soll er nehmen? Er weiß, dass die Kassiererin sie nach dem Zufallsprinzip von der Maschine aussuchen lassen kann, aber das ist, als würde man nicht mal spielen.
Auf dem ersten Schein kreuzt er die 3 und die 5 an, für den 5.März, an dem er Jacquie zum ersten Mal geküsst hat, die 8 und die 11 für ihren Geburtstag, die 27 für ihr Alter und als Powerball‐Zahl die 34, für David Ortiz, den echten Big Papi, ihren Lieblingsspieler bei den Red Sox.
Der nächste gehört Deena, und dann kommt jeweils einer für seine Oma, einer für Eddie, einer für den Trainer, jeder mit einem eigenen Geheimcode aus Geburten und Jubelfeiern, Adressen und Helden – Zahlen, die bereits Glück bringen, Lieblingszahlen.
Die Verkäuferin legt ihr Handy hin, um seinen Zettel zu nehmen und die Zahlen einzutippen. Wie im Kino schiebt sich der erste Schein aus einem Schlitz
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