Letzte Rache: Thriller (German Edition)
das Gesicht mit ihnen.
Irgendwo kreischte über seinem Kopf eine Möwe. Der Himmel war von einem hellen Blau. Der Sommer kündigte sich an.
Die juristische Abwicklung näherte sich dem Ende.
Dies musste die Schlussszene des Inquisitionsverfahrens sein, sein Autodafé, das Glaubensgericht, wo er verurteilt und das Urteil vollstreckt werden würde. Pettigrew stellte es sich mit einem Lächeln auf dem Gesicht vor. Dies war der Ort, wo er der Falle entkommen würde, die Opferrolle und Vergeltung bildeten.
Einer der Matrosen zeigte auf ein offenes Tor in der Reling. Er tapste dorthin und schaute nach unten. Die Entfernung zur Wasseroberfläche schien ungefähr zwanzig Meter zu betragen. Vor ihm war nichts, bis auf das Blau des Pazifischen Ozeans. Zu seiner Linken konnte er die Küste sehen. Er vermutete, dass sie vielleicht eine Meile vor Valparaíso lagen. Er dachte an Cerro Los Placeres, an das, was er zurücklassen würde. Was er bereits zurückgelassen hatte, seine Eltern, seine Schwester. Was würden sie von ihm denken? Wie würden sie trauern?
»Dreh dich um.«
Er tat, was man ihm befohlen hatte, und wendete sich seinem Exekutionskommando gleichmütig zu. Es bestand aus vier Männern. Drei richteten Gewehre auf seine Brust. Sie sahen zu Tode erschrocken aus, als ob der erschöpfte, nackte, delirierende, gebrochene Mann vor ihnen im Begriff sei, Amok zu laufen.
Pettigrew blinzelte und schaute sie erwartungsvoll an. Die drei mit den Gewehren waren noch Jungen – Teenager mit Gesichtern, die rund, glatt und neugierig aussahen. Vor nicht sehr langer Zeit hatte er so ausgesehen. Aber diese Jungs waren nicht wie er. Sie waren Folterknechte, Mörder, Lügner und Diebe. Ihnen fehlte etwas, das Menschen aus ihnen gemacht hätte. Und doch konnte er sie nicht hassen. Trotz allem spürte er ein gewisses Mitgefühl mit ihnen. Wie schwierig musste all das hier für sie sein, in diese Lage gebracht worden zu sein? Würden sie sich in zehn Jahren, in zwanzig oder dreißig an diesen Tag erinnern? Wäre es ein prägender Augenblick in ihrem Leben gewesen? Würden sie je unter Depressionen leiden? An Albträumen? Schlaflosigkeit? Würden sie je für ihre Sünden Buße tun?
Ihre Finger an den Abzügen der steinalt aussehenden Gewehre strafften sich. Einer der Jungen drehte sich zu dem vierten Mann um, der älter als der Rest zu sein schien, vielleicht vier- oder fünfundzwanzig. Seine Stimme zitterte, als er fragte: »Soll ich ihn erschießen?«
»Was?« Der ältere Mann versuchte zu lachen, aber es kam nur ein heiseres Murmeln aus seinem Mund, als versuche er, sich zu räuspern. Er schaute an dem Priester vorbei in die weite blaue Ferne. »Und eine Kugel verschwenden?«
Der Junge wurde rot und senkte seine Waffe. Seine Gefährten folgten seinem Beispiel, und das Trio schlich davon wie ein paar Kinder, denen ein verärgerter Nachbar gerade den Fußball abgenommen hat. Der ältere Mann zog theatralisch die Nase hoch und spuckte vor seine Füße. Er verlagerte sein Gewicht auf die Hacken, und dann ging er vorwärts, wobei er den Priester nicht ansah, aber auch nicht wegschaute. Nach sechs langen Schritten stand er wenige Zentimeter vor Pettigrews Gesicht. Seine Augen waren blutunterlaufen. Er machte einen angeschlagenen Eindruck.
Eine Welle der Euphorie erfasste den Priester. Endlich war seine Zeit gekommen.
Hier bin ich, milder und gütiger Jesus.
Mit einem kaum wahrnehmbaren, anerkennenden Nicken legte der Offizier die Fingerspitzen der linken Hand Pettigrew auf die Brust. Der Priester schaute hinab auf die Hand des Mannes und dann zurück in sein Gesicht. Es war das Gesicht eines Mannes, der kein Urteil fällte.
Aus tiefster Seele bitte ich dich: Präge mir den lebendigen Geist des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe ein …
Der Offizier machte noch einen Schritt vorwärts und schob sanft, als ob er durch eine halb geöffnete Tür ginge.
Pettigrews Unterkiefer tat ihm weh, als ein Lächeln auf sein Gesicht trat. Agatha wird mich umbringen, dachte er. Wie in Zeitlupe fiel er nach hinten ins Leere. Mit ausgestreckten Armen erfasste er schließlich sein Schicksal.
… und wahre Reue über meine Sünden und den ganz festen Willen, mich zu bessern.
Fünfzehn
Carlyle und Joe gingen auf der Endell Street in nördlicher Richtung und genossen den warmen Sonnenschein. Es war ein schleppender Vormittag im Kampf gegen das Verbrechen in der Hauptstadt gewesen, und die Atmosphäre in der Polizeistation Charing Cross war
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