Letzte Rache: Thriller (German Edition)
erreichte. Aus irgendeinem Grund hatte er seine Route verlassen und war einen Block weit südlicher, als er sein sollte.
Verwundert machte Carlyle zwei Schritte und schaute mit zusammengekniffenen Augen auf das Fahrzeug, das keine zehn Meter vor ihm stand. Der Bus zeigte nicht an, dass er außer Betrieb war, und er konnte sehen, dass noch ein paar Passagiere an Bord waren. Auch machte der Fahrer nicht den Eindruck, verletzt oder in irgendeiner Hinsicht arbeitsunfähig zu sein. Vielmehr saß er wie ein Idiot auf seinem Platz und sah zu, wie sich das Chaos um ihn herum ausbreitete, offensichtlich ohne die beiden Touristen zur Kenntnis zu nehmen, die direkt vor dem Bus standen und ihn mit der Videokamera filmten.
Der Lärmpegel stieg allmählich an, während mehr und mehr Fahrer ihrem Unmut Luft machten. Es kam Carlyle so vor, als sei die Temperatur während der letzten zwei Minuten um zehn Grad angestiegen, und von den Auspuffdämpfen wurde ihm schlecht. Er konnte schmecken, wie sich die Luftverschmutzung hinten in seiner Kehle sammelte. Ein vertrautes Knirschen am oberen Ende seiner Wirbelsäule, wo sie mit seinem Schädel zusammentraf, bedeutete, dass schwere Kopfschmerzen im Anzug waren. Am liebsten wäre er jetzt durch den restlichen Verkehr gehüpft und hätte alle ihrem Schicksal überlassen.
»Wir finden besser raus, worum es hier geht«, rief er Joe zu.
Sie arbeiteten sich bis zu dem Bus vor, und Carlyle klopfte gegen die Tür, die vorn dem Fahrer gegenüberlag. Der Mann war in den Zwanzigern und hatte eine ungesund aussehende, schmutzig weiße Gesichtsfarbe, furchtbare Haut und einen Topfschnitt. Er starrte sie an und schaute dann wieder weg. Die Fahrgäste auf den hinteren Bänken saßen da und starrten ausdruckslos aus den Fenstern. An die Wechselfälle des öffentlichen Nahverkehrs in London gewöhnt, ließen sie sich offenbar von den Ereignissen nicht beeindrucken.
Carlyle ging zur Vorderseite des Busses und presste seinen Ausweis unmittelbar vor dem Gesicht des Fahrers gegen das Fenster. »Wir sind von der Polizei!«, rief er. »Öffnen Sie die Tür.«
Der Fahrer blinzelte ein paar Mal, sagte aber nichts. Stattdessen saß er da mit den Händen auf dem Lenkrad und rührte sich nicht. Vielleicht ist er auf Drogen, dachte Carlyle. Seine Stimmung verschlechterte sich zusehends. Er konnte spüren, dass sich hinter ihm eine kleine Menschenmenge sammelte, und er musste den Bus von der Stelle kriegen.
»Dieser Typ ist scharf darauf, in einer Zelle zu landen«, sagte Joe und seufzte.
Der Inspector schlug mit der Faust gegen das Fenster. »Mach die Scheißtür auf!«
Joe legte ihm die Hand auf die Schulter. »Warte mal kurz.«
Carlyle folgte seinem Sergeant zurück zur Seite des Busses. Er sah zu, wie Joe nach unten griff und eine kleine Tafel links neben der Tür öffnete. Drinnen war ein grüner Knopf von der Größe einer kleinen Münze, mit der Erklärung darüber in kleiner Schrift: NOTFALL TÜRÖFFNER . Joe drückte auf den Knopf, und die Tür öffnete sich zischend.
»Warum hast du das nicht als Allererstes gemacht?«, fragte Carlyle scharf.
Joe lächelte nur und trat mit einer leichten Verbeugung einen Schritt zurück, um seinem Chef den Vortritt zu lassen.
»Schick die Gaffer zum Teufel«, blaffte Carlyle, »und lass ein paar Uniformierte kommen.« Er sprang auf den Bus und klatschte mit der flachen Hand gegen die Plexiglasscheibe, die den Fahrer von seinen Fahrgästen abschirmte. »Was zum Teufel ist los?«, fragte er. »Haben Sie sich verfahren?«
Der Fahrer schaute geradeaus, ignorierte Carlyle und blieb stumm.
»Ist das Ihr Bus?«
Endlich drehte sich der Mann um und schaute Carlyle an. Er nahm den rechten Aufschlag seines Jacketts zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt dem Polizisten sein Namensschild hin. »Jawohl«, sagte er mit zittriger Stimme, »das ist mein Bus. Und das hier ist ein Protest. Wie sieht es denn aus?«
»Es sieht aus wie ein beschissener Parkversuch«, sagte Carlyle, der sich ein wenig entspannte. Wenigstens schien der Trottel bei klarem Verstand zu sein. »Wie heißen Sie?«
»Clive.«
»Und wogegen genau protestieren Sie, Clive?«
»Gegen die Reklame.«
Carlyle begriff nicht. »Welche Reklame?«
»Die Reklame auf dieser Seite vom Bus«, sagte Clive eingeschnappt, als wenn das sonnenklar wäre.
Carlyle runzelte die Stirn. Er drehte sich um, verließ den Bus und starrte zu dem Werbeposter hoch, das waagerecht zwischen der oberen und der unteren Fensterreihe
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