Letzte Rache: Thriller (German Edition)
Carlyle verstand das als Versuch, in einer zunehmend vernetzten Welt zumindest einen Teil seiner Gespräche vertraulich zu halten. So vertraulich, dass er dafür bekannt war, tage- und sogar wochenlang nicht daran zu denken, seine Nachrichten abzuhören.
»Okay.« Er packte seine Tochter und umarmte sie fest, bevor sie sich ihm entwand. »Ich wünsch dir einen tollen Tag in der Schule.«
»Den werd ich haben.« Alice küsste ihre Mutter auf die Wange und hüpfte durch die Wohnungstür. »Bis später.« Sie ließ den Aufzug links liegen und verschwand um die Ecke Richtung Treppe.
Carlyle lauschte ihren Schritten auf der Treppe, bis sie nicht mehr zu hören waren. Er drehte sich um und bemerkte, dass Helen Tränen in die Augen traten. »Ich weiß«, sagte er, legte die Arme um sie und zog sie an sich. »Ich weiß, zum Teufel noch mal.«
Einundzwanzig
Rosanna Snowdon saß auf dem Beifahrersitz des BMW und verfluchte den nächtlichen Stoßverkehr. Sie hoffte, der Stau würde sich auflösen, damit sie es bis nach Hause schaffte, bevor sie sich übergeben musste. Die Flasche Rioja aus dem Supermarkt, nachdem sie die letzte Ausgabe von London Crime im Kasten hatte, war keine gute Idee gewesen – auf die beiden doppelten Wodka, die sie vor Aufzeichnung ihrer Sendung getrunken hatte, um sich zu entspannen. Sie hatte sich geschworen, beim Alkohol etwas Zurückhaltung zu üben, aber der Plan war den Bach runtergegangen, als der Chef ihres Chefs sie zum soundsovielten Mal anzumachen versuchte. Alkohol war ein entscheidender Bestandteil ihrer Bewältigungsstrategie, wenn es darum ging, die unerwünschten Aufmerksamkeiten von dicken Fernsehbonzen im virilen Klimakterium abzuwehren, etwas, worin Rosanna jede Menge Erfahrung gesammelt hatte.
Dass das Management den talentierten Nachwuchs »betreute«, hatte in der BBC eine lange Tradition. Es war etwas, dem sie sich immer robust widersetzt hatte, selbst wenn ihre Möchtegern-Liebhaber sich erhebliche Mühe gaben. Ian Dale, der Chefredakteur der Abteilung Factual Programming, London, verfolgte seinen »kleinen Star« mittlerweile fast seit einem Jahr. Wenn Rosanna auch nicht direkt in einer Position war, in der sie ihm sagen konnte, er solle sich verpissen, so tat sie andererseits nichts, was ihn hätte ermutigen können. Jetzt hatte er ihr angeboten, sie nach Hause zu fahren. Das hätte ein großes Warnsignal sein sollen, aber sie war betrunken und müde und hatte keinen Bock, auf ein Taxi zu warten, was zu dieser nachtschlafenden Zeit Stunden dauern konnte. Es war schon fast Mitternacht, und sie musste morgen früh um acht wieder im Studio sein. Jedenfalls war sie, ob betrunken oder nicht, überzeugt, dass sie mit Dale fertig-
werden konnte. Wenn alle Stricke rissen, gab es nochihre Trumpfkarte, die Handynummer seiner Frau Erica, die sie sich klugerweise von Dales Sekretärin besorgt hatte, als klar wurde, dass er auf lange Sicht ein Ärgernis bleiben würde. Die Nummer war in ihr eigenes Telefon programmiert. Falls er zu weit ging, konnte sie einfach Mrs Dale anrufen, ihrem Mann das Handy geben und ihm die Erklärung überlassen.
Endlich hatte es der BMW über die letzten Verkehrsampeln geschafft und bog in die Gladstone Terrace ein. Vor ihrem Mietshaus fuhr Dale in eine Nur für Motorräder gekennzeichnete Parkbucht und schob den Schalthebel in den Leerlauf. »Gold« von Spandau Ballet begann im Autoradio. Rosanna wusste nicht, ob sie es rechtzeitig in ihr Apartment schaffen würde; falls nicht, konnte sie in die Büsche auf beiden Seiten der Haustür ausweichen. Das wäre nicht das erste Mal, dachte sie reumütig.
»Das war sehr nett, Ian, vielen Dank.« Noch bevor der Wagen zum Stillstand gekommen war, versuchte sie, den Sitzgurt zu lösen und die Flucht zu ergreifen. In ihrem beschwipsten Zustand erwies sich dieses Vorhaben allerdings als schwierig.
Dale merkte, welche Probleme sie hatte, und grinste lüstern. »Komm, lass mich helfen.«
Er legte ihr eine Hand aufs Knie und griff mit der anderen nach dem Schloss des Sitzgurts, wobei er unterwegs ihre linke Brust betatschte.
»Ian!« Es kam weniger als Schrei, eher als Quieken heraus. Mit einem Klick kam der Gurt frei, und er hing praktisch auf ihr drauf. Sie konnte seinen Schweiß riechen und sein Keuchen hören. Sie versuchte, energisch zu klingen: »Runter von mir.«
Er grunzte nur und begrapschte sie weiter, versuchte, ihr seine Zunge in den Mund zu stecken. Er lag jetzt praktisch über ihr und war zu schwer,
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