Letzter Akt in Palmyra
Gesicht war weiß und wirkte tränennaß. »Ein Messer!« rief er mit wildem Blick. »Da schneiden, wo er zugestochen hat. Schneiden Sie tief und drücken sie …«
Unmöglich. Nicht bei Helena. Nicht ich.
Statt dessen nahm ich ihr den Läufer ab, stützte ihren Arm, drückte sie sanft an mich und wollte die Zeit um ein paar Sekunden zurückzwingen, um sie vor all dem zu bewahren.
Meine Gedanken wurden klarer. Irgendwie brachte ich die Kraft auf, eines meiner Schnürbänder zu lösen und es als Aderpresse fest um Helenas Oberarm zu binden.
»Ich liebe dich«, murmelte sie hastig, als meinte sie, es sei die letzte Gelegenheit, mir das zu sagen. Helena hatte ihre eigenen Vorstellungen von dem, was wichtig war. Dann drückte sie mir den Arm gegen die Brust. »Tu, was Musa gesagt hat, Marcus.«
Musa hatte sich wieder aufgerappelt. Er zog ein Messer raus. Es hatte eine kurze, schmale Schneide und einen dunkel polierten, mit Bronzedraht umwickelten Griff. Es sah gefährlich scharf aus. Ich mochte mir nicht vorstellen, wofür ein Dusharapriester das wohl brauchte. Er wollte es mir aufdrängen. Als ich zurückwich, hielt Helena Musa ihren Arm hin; auch er wich entsetzt zurück. Genau wie ich, war er unfähig, ihr Schmerz zuzufügen.
Helena wandte sich rasch wieder mir zu. Beide starrten mich an. Als harter Mann kam mir die Aufgabe zu. Und sie hatten recht. Ich würde alles tun, um sie zu retten, weil der Gedanke, sie womöglich zu verlieren, unerträglicher war als alles andere.
Musa hielt das Messer verkehrt herum, mit der Spitze zu mir. Kein militärisch geschulter Mann, unser Gast. Ich griff über die Schneide, packte den abgenutzten Griff und bog das Handgelenk nach unten, damit er mir nicht in die Hand schnitt. Abrupt und erleichtert ließ Musa los.
Jetzt hatte ich zwar das Messer, mußte aber erst noch den Mut finden, es anzugehen. Warum haben wir nur keinen Arzt mitgenommen? schoß es mir durch den Kopf. Zum Hades mit Reisen ohne viel Gepäck. Zum Hades mit den Kosten. Wir waren am Ende der Welt, und ich würde Helena verlieren, weil es uns an fachmännischem Können fehlte. Nie wieder würde ich sie mitnehmen, zumindest nicht ohne jemanden, der chirurgisch erfahren war, dazu eine gewaltige Truhe voll erprobter Heilmittel und eine vollständige griechische Pharmakopöe …
Während ich noch zögerte, versuchte Helena sogar, mir das Messer zu entwinden. »Hilf mir, Marcus!«
»Schon gut.« Ich klang kurz angebunden. Und wütend. Ich führte sie zu einer Gepäckrolle und brachte sie dazu, sich zu setzen. Dann kniete ich mich neben sie, drückte sie kurz an mich und küßte ihren Nacken. Ich sprach leise, mit zusammengebissenen Zähnen. »Hör zu, Herzchen. Du bist das Beste in meinem Leben, und ich werde tun, was getan werden muß, um dich zu behalten.«
Helena zitterte von Kopf bis Fuß. Ihre Stärke ebbte sichtbar ab, als ich die Kontrolle übernahm. »Marcus, ich war so vorsichtig. Ich muß was falsch gemacht haben …«
»Ich hätte dich nie hierher bringen sollen.«
»Ich wollte aber mitkommen.«
»Und ich wollte dich bei mir haben«, gab ich zu. Dann lächelte ich sie an; sie lächelte voller Liebe zurück und vergaß darüber ganz, mir bei meinem Werk zuzuschauen. Ich setzte zwei Schnitte, die sich über dem Einstich im rechten Winkel kreuzten. Ein kleines Geräusch entfuhr ihr, eher erstaunt als sonstwas. Ich biß mir so fest auf die Lippen, daß die Haut aufplatzte. Helenas Blut schien nach allen Seiten zu spritzen. Ich war entsetzt. Noch war meine Arbeit nicht beendet. Ich mußte versuchen, soviel Gift wie möglich aus der Wunde herauszubekommen, aber der Anblick dieses so rasch heraussprudelnden, hellroten Blutstroms beunruhigte mich. Musa, der regungslos dabeigestanden hatte, wurde ohnmächtig.
LVII
Die Wunde auszudrücken, war schwer genug gewesen; nun wollte es mir kaum gelingen, das Blut zu stillen. Ich benutzte meine Hände, immer die beste Methode. Inzwischen waren andere herbeigerannt. Ein Mädchen – Afrania, glaube ich – reichte mir abgerissene Stoffstreifen. Byrria hielt Helenas Kopf. Schwämme tauchten auf. Jemand brachte Helena dazu, ein bißchen Wasser zu trinken. Ein anderer drückte mir ermutigend die Schulter. Im Hintergrund war erregtes Stimmengemurmel zu hören.
Einer der Palmyrer kam angerannt. Ich wollte wissen, ob er ein Gegenmittel dabeihatte; entweder verstand er mich nicht oder er hatte keins. Nicht mal Spinnweben, um die Wunde abzudecken. Nutzlos.
Meine mangelnde
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