Letzter Akt in Palmyra
Material mein Lebensunterhalt wäre. Wenn es von Rechts wegen mir gehören würde. Und vor allem, wenn derjenige, der es jetzt besäße, ein bösartiger Schreiberling wäre, der mit meinem kostbaren Material angeben würde … wir müssen diese Theorie austesten.«
»Dazu werden wir nicht mehr viel Gelegenheit haben.«
Plötzlich hatte ich meine Toleranzgrenze erreicht. »Ach, was soll’s, Süße! Heute abend habe ich mein Debüt; ich will nicht mehr über den ganzen Schlamassel nachdenken. Es wird schon alles gut gehen.«
Alles. Mein Geisterstück; Sophrona; den Mörder zu finden; alles. Manchmal, ohne jeden Grund für diesen Optimismus, wußte ich es einfach.
Helena war nüchterner. »Mach keine Späße darüber. Dafür ist es zu ernst. Du und ich, wir nehmen den Tod nie auf die leichte Schulter.«
»Oder das Leben«, sagte ich.
Ich hatte sie unter mich gerollt und hielt ihren verletzten Arm vorsichtig zur Seite. Jetzt nahm ich ihr Gesicht in die Hände und betrachtete es. Dünner und stiller seit ihrer Krankheit, aber immer noch voll wacher Intelligenz. Dichte, fragend hochgezogene Augenbrauen; zarte Knochen; anbetungswürdiger Mund; Augen von so dunklem Braun und solcher Ernsthaftigkeit, daß sie mich in Wallungen brachten. Ich hatte ihren Ernst immer geliebt. Ich liebte den verrückten Gedanken, daß ich eine ernste Frau dazu gebracht hatte, etwas für mich zu empfinden. Und ich liebte dieses unwiderstehliche, versteckte Lachen, so selten mit anderen geteilt, das immer dann aufblitzte, wenn sich unsere Augen in intimen Momenten trafen. »Oh, meine Liebste! Ich bin so froh, daß du zu mir zurückgekommen bist. Ich dachte schon, ich würde dich verlieren …«
»Ich war hier.« Ihre Finger fuhren an meiner Wange entlang; ich drehte den Kopf und hauchte einen Kuß auf die weiche Haut ihres Handgelenks. »Ich habe alles mitbekommen, was du für mich getan hast.«
Jetzt, wo ich den Gedanken an die Sache mit dem Skorpion ertragen konnte, fiel mir ein, daß sie sich eines Nachts fiebernd herumgeworfen und plötzlich mit ganz deutlicher Stimme »Oh, Marcus!« gerufen hatte, als hätte ich ein Zimmer betreten und sie aus einem bösen Traum erlöst. Direkt danach war sie in einen tiefen Schlaf gesunken. Als ich ihr nun davon erzählte, konnte sie sich zwar nicht mehr an den Traum erinnern, lächelte aber. Sie war wunderschön, wenn sie so lächelte und zu mir aufschaute.
»Ich liebe dich«, flüsterte Helena plötzlich. Ihre Stimme hatte einen besonderen Klang. Der Augenblick, in dem sich die Stimmung zwischen uns veränderte, war nicht wahrnehmbar. Wir kannten einander so gut, daß es nur der leisesten Veränderung des Tons, einer kaum merklichen Anspannung unserer eng beieinanderliegenden Körper bedurfte. Ohne jegliches Theater oder Brimborium wußten wir, daß wir uns jetzt auf der Stelle lieben wollten.
Draußen war alles ruhig. Die Schauspieler waren noch bei der Probe, Thalia und ihre Akrobaten ebenfalls. Im Zelt brummten ein paar Fliegen ohne Gefühl für Diskretion gegen die heißen Ziegenlederplanen. Sonst war alles still. Fast alles.
»Ich liebe dich auch …« Das hatte ich ihr zwar schon gesagt, aber für ein Mädchen mit außergewöhnlichen Qualitäten wiederhole ich mich gern.
Diesmal mußte ich nicht um einen Kuß gebeten werden und war auch konzentriert dabei. Es war der Moment, das Töpfchen mit Alaunwachs herauszufummeln. Wir wußten es beide. Keiner wollte die tiefe Intimität des Augenblicks zerstören; keiner wollte sich vom anderen lösen. Unsere Augen trafen sich zu schweigender Beratung; schweigend wurde die Idee verworfen.
Wir kannten einander sehr gut. Gut genug, um ein Risiko einzugehen.
LXVIII
Wir durchsuchten die Soldaten am Eingang so gut wir konnten. Es gelang uns, den größten Teil ihrer Trinkflaschen und einige Steine zu konfiszieren, die sie nach uns hatten werfen wollen. Niemand konnte sie davon abhalten, in großer Anzahl gegen die Außenmauer zu pissen, bevor sie das Theater betraten; auf jeden Fall war es besser, sie das hier als vielleicht später drinnen erledigen zu lassen. Eine Stationierung in Syrien war nie sonderlich beliebt gewesen; einsatzfreudige Männer bewarben sich für Grenzfestungen in Britannien und Germanien, wo die Hoffnung bestand, zumindest ein paar Barbarenköpfe einzuschlagen. Diese Soldaten hier waren kaum mehr als Banditen. Wie alle Soldaten im Osten salutierten sie jeden Morgen vor der Sonne. Ihr Abendvergnügen würde wahrscheinlich
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