Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
Spiegelbild in die Augen sah.
Ihr Lächeln erstarb jäh.
Zwar fand sie ihre großen braunen Augen schön, wie auch den Mund mit den vollen sinnlichen Lippen. Aber da war diese entsetzlich lange Nase! Ein tiefer Seufzer entfuhr ihr. Diese hässliche Nase in ihrem ansonsten ebenmäßigen Gesicht war ständig dem profanen Blick aller Welt ausgesetzt, während kein Mensch auch nur ahnte, mit welch makellosem Körper die Natur sie in gerechtem Ausgleich entschädigt hatte.
Einer doch! durchzuckte sie der unbehagliche Gedanke an den polnischen Fremden, der um ihre verborgene Schönheit zu wissen schien, ja ihre verdeckten Vorzüge gewiss mit raschem begehrlichem Blick erkannt hatte. Dieser üble Bursche! Noch immer trieb ihr der Gedanke an seine unverschämte Art, sie anzusehen, ja sie förmlich auszuziehen, die Schamröte ins Gesicht. Wie unverfroren frech er sie angegrinst hatte!
Hastig löschte sie das Licht, huschte ins Bett, ohne erst das Nachthemd überzustreifen, und kroch fluchtartig unter das Laken. Sie schämte sich ein wenig ihrer Blöße, mehr freilich ihrer eitlen Selbstbetrachtung.
Angenehm kühl schmiegte sich das Leinen an ihren Körper.
Sie lag, die Arme unter dem Kopf verschränkt, auf dem Rücken und schaute an die Decke, auf die das Mondlicht helle Streifen durch die Ritzen des Rollladens warf. Eine Wolke verdunkelte langsam den Raum.
Um so größer war der Schrecken, als jäh ein Blitz das Zimmer für Sekunden erhellte. Ein krachender Donnerschlag folgte unmittelbar, und nach wenigen Augenblicken stürzte wolkenbruchartiger Regen hernieder. Michaela sprang aus dem Bett, riss den Rollladen hoch und öffnete das Fenster. Unentwegt zuckten gezackte Blitzstrahlen, die die Wand des Nachbarhauses gespenstisch ausleuchteten, und grollte mächtiger Donner, der von Mauer zu Mauer geworfen wurde. Lächelnd atmete sie tief und wie erlöst die hereinströmende und sich ausbreitende Kühle und lauschte fasziniert dem Sausen der Regenböen, die gegen die Regentonne plätscherten und auch ihren Körper ein wenig benässten. Als das Unwetter unvermittelt nachließ, fröstelte sie. Nachdem sie die Rollläden heruntergelassen hatte, trocknete sie sich mit dem Baumwollkleid hastig etwas ab und verkroch sich wieder unter das Laken. Das jetzt gleichmäßige Rauschen des Regens beruhigte sie und wirkte einschläfernd. Nur noch wenige tanzende Blitzstrahlen drangen durch die Ritzen, das Donnergrollen entfernte sich zusehends. Michaela drehte sich auf die Seite, und schon halb im Einschlummern zog sie die Beine an. Jetzt erst fühlte sie so richtig die Anstrengungen des vergangenen Tages in ihren Gliedern. Vormittags hatte sie zwei Stunden gearbeitet, bevor sie mit Willi gerade noch rechtzeitig zur Trauerfeier in die Kirche gekommen war. Ein langer Weg war es gewesen ... in der Straßenbahn ... die Prozession zum Dorotheenfriedhof bei der Schwüle ... später ... die Wäsche ... der fremde ... Warschauer ... Im Innern des Gotteshauses ist es so schön kühl ... pst, Willi ... leise, sie haben schon begonnen ... wie heftig es donnert ... so ein weiter Weg, ich werde mir Blasen holen bis dahin ... sieh mal, Willi ... auf dem Windmühlenberg brennt es ... du lieber Gott, ich hab ja gar nichts drunter ... hallo, Sie! Sehen Sie mich nicht so schamlos an ... Herrgott, eine Brieftasche, prall gefüllt mit Westgeld ... sieh mal, Ingrid ... he, Sie Polack! Lassen Sie wohl meine Hand los ... nicht lachen über meine Nase ... aber ansonsten, mein Busen ... gefällt Ihnen ... mein Busen ... lassen Sie meine Hand los ... nein ... von der Arbeit ... Nehmen Sie Ihren lüsternen Ausdruck aus dem Gesicht! ... Sie sollen mich nicht so ansehen ... unverschämt ... das ist unverschämt ... so eine bin ich nicht ... sieh mal, Ingrid ... dort läuft er, stark ist er, nicht wahr...
Michaela warf sich unruhig von einer auf die andere Seite. Als sie endlich zusammengerollt liegen blieb, war sie in abgründigen Schlaf versunken. Traumlos jetzt atmete sie tief, der Regen ließ nach, bald erinnerte nur noch ein feines Rieseln durch das Dachrinnenrohr an das vergangene Gewitter.
Am nächsten Morgen fand Michaela nur ganz allmählich in die Wirklichkeit zurück; so tief musste sie geschlafen haben. Verwundert hob sie den Oberkörper, um zu lauschen. Oben war es so still wie in ihren Schlafzimmer. Ihr Blick fiel auf den Wecker. Jäh fuhr sie zusammen: Der Untermieter! Sie sprang aus dem Bett, merkte, dass sie ohne Hemd war; dabei standen die
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