Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
aufreizend überheblich statt einer Antwort, was sie – immer noch mit abgewandtem Gesicht – erglühen ließ vor Zorn und Kopflosigkeit. „Ich verstehe nicht, was Sie eigentlich wollen. Sicher hat der Herr sich in der Adresse geirrt. Dies ist ein ehrenwertes Haus!“ Während sie sich aufrichtete und dabei vermied, ihn eines Blickes zu würdigen, beeilte sie sich hinzuzufügen, wobei sie sich leicht verschluckte: „Sie entschuldigen mich, ich bin sehr beschäftigt!“
Sie hastete in ihre Küche und knallte die Tür hinter sich zu. So konnte sie nicht sehen, mit welch boshaftem Grinsen ihr neuer Mieter ihr nachblickte. Er nickte befriedigt und ließ seine Zunge zwischen den Zähnen spielen. So trat er in sein Zimmer, wo er seiner Aktentasche ein schmales Ringbuch entnahm, das er in ein Schrankfach wegschloss.
Michaela blieb schwer atmend und zitternd vor Erregung an die zugeschlagene Tür gelehnt stehen. So unverschämt ist mir noch kein Kerl gekommen! dachte sie wütend. Aber wen hab ich denn schon kennenlernen können außer meinem stillen, vergeistigten Jürgen? Die anständigen Knilche waren sämtlich entweder verheiratet oder alt oder gar so jung wie dieser schüchtern-verliebte Willi Patzke, der in ihrer Gegenwart kaum den Mund aufbekam und sie nur mit den Augen verschlang.
Aber dieser Fatzke! Trotz ihrer Empörung und inneren Gegenwehr kam sie nicht umhin, sich – wenn auch widerwillig – einzugestehen, dass irgendetwas diesen Fremden unwiderstehlich machte, sie wie magnetisch anzog und ganz konfus werden ließ. Nur um etwas zu tun, machte sie sich am Herd zu schaffen, als es klopfte. Herr Kloczowski trat ein, ohne ihr „Herein“ abzuwarten. Er blieb in der Tür stehen, ohne ein Wort zu sagen, weil sie ihm den Rücken zukehrte. Den Kopf hebend fragte sie: „Kann ich noch irgendwas für Sie tun?“ Da er beharrlich schwieg, sah sie sich schließlich genötigt, sich ihm zuzuwenden, um ihn rasch wieder loszuwerden. Sie wich seinem bohrenden Blick aus, den sie aber geradezu körperlich auf sich geheftet fühlte. „Womit ich Ihnen noch dienen kann, habe ich gefragt!“ Ihr Ton war trotzig, provozierend, frostig.
Herr Kloczowski erwiderte völlig ruhig und sachlich, er wolle lediglich fragen, ob er mit ihrer gnädigen Erlaubnis in den nächsten Tagen Handwerker vorbeischicken könne, um ein Schild anbringen zu lassen. „Für Namen und Zeit für Sprechstunde von mir.“
Sein nüchternes Begehren neutralisierte die empörte Anspannung. Sie nickte knapp. „Wenn es sein muss, meinetwegen.“
Unverhofft trat er auf sie zu und streckte ihr die Hand entgegen: „Na, dann auf Wiedersehen, Frau Schumann.“
Dass er sie zum ersten Mal beim Namen nannte, gab ihr Sicherheit und stellte Distanz her. Zaghaft hielt sie ihm die Hand hin, da es unumgänglich schien, wenn sie nicht beleidigend wirken wollte.
Er lächelte – jetzt keineswegs spöttisch – und nahm ihr Händchen. „Auf gutes Einvernehmen“, sagte er.
Sie zwang sich ein etwas gequältes Lächeln ab, weil sie ihn wirklich nicht zu verletzen beabsichtigte. Der Gedanke an die Miete in Westgeld war dem durchaus förderlich, so dass sie sich sogar bereitfand, ihn an der Zwergenparade vorbei durch den Vorgarten zu begleiten. Es sollte zeigen, dass sie ihm sein Verhalten nicht länger nachtrug. Der dunkle Wagen wartete schon vor dem Haus. Eine Schar schmutziger Plagen stand andächtig staunend um die große Limousine. Unter den Kindern befand sich – im Hintergrund ängstlich an den Bretterzaun gelehnt – ein kleines rötlich blondes Mädchen mit einem abgewetzten Teddybär unter dem Arm, dem ein Arm fehlte. Es war Klein-Evchen, das jüngste der Widullekinder.
Der Fahrer war aus dem Auto gesprungen, als er Herrn Kloczowski aus der Haustür hatte treten sehen, und riss den Wagenschlag auf. Der schnauzbärtige Warschauer stieg ein, ohne Michaela aus den Augen zu lassen. Sein Gesicht beherrschte wieder dieses eingefrorene Lächeln, das sie schon bei seinem ersten Erscheinen irritiert hatte. Seinen Mund umspielte kurz ein breites Grienen, als er ihr zunickte und jovial winkte im Abfahren.
Verdammt schlau haben die das angefangen: Provozieren am Nachmittag auf halber Strecke zwischen Berlin und Leipzig einen Verkehrsunfall, so dass die Nikolai und der Weinert unmöglich die Montagsdemo erreichen können, also genau das Gespann, das ihnen durch die klaren Aussagen ihrer Redebeiträge bei den letzten Kundgebungen zu gefährlich geworden war. Janine
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