Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
Vom Netzwerk:
Fenster auf, und man konnte durch die Ritzen des Rollladens sehen. Sie zog die Gardine zu und nahm ein einfaches blaues, von ihr selbst geschneidertes Kleid aus dem Schrank; sie wusste, wie vorteilhaft das blaue Tuch ihre Figur betonte.
    Nach einer Katzenwäsche betrachtete sie sich wohlgefällig vor dem Spiegel. Das hautenge Kleid brachte Busen und Wespentaille, ihre schmalrunde Hüfte und die schlanken Beine erst richtig zur Geltung. Es saß wirklich wie angegossen. Sie streckte ihrem Spiegelbild schelmisch die Zunge heraus, während sie ihr volles Blondhaar aufsteckte, und sagte, indem sie die Lippen spöttisch verzog: „Einen Narren hast du also an mir gefressen, Freundchen! Der Bissen soll dir im Hals stecken bleiben, das schwör ich dir!“ Sie hob die Augenbrauen und wendete den Kopf hin und her, den Sitz ihrer Frisur zu prüfen. Mit gespreizten Fingerkuppen nahm sie ebenso kleine, wie entbehrliche Korrekturen an den Haaren vor und fügte mit gespielt herablassender Miene in breitem Berlinerisch hinzu: „Aber bilden Sie sich man ja keene Schwachheiten ein, mein Herr! Ick warne Neugierige: Bis hierher, und keen bissjen weiter!“
    Das Kreischen von Autobremsen beschloss jählings ihren Spiegelmonolog. Ihr aufgesetztes Überlegenheitsgefühl sackte weg, um einer gehörigen Nervosität Platz zu machen. In einem ersten Impuls wollte sie den Warschauer an der Haustür empfangen, aber sogleich brach ihr ausgeprägter weiblicher Instinkt durch, so dass sie sich eines Besseren besann, rasch an den Küchenschrank trat, hastig das Hausbuch aus einer Schublade nahm und ungemein geschäftig tat. Erstens wollte sie Zeit gewinnen, ihr heftig klopfendes Herz zu beruhigen, zweitens hatte sie vor, die souveräne Dame zu spielen, um ihre gestrige alberne Gehemmtheit vergessen zu machen und ihm seine hemmungslose Anmache heimzuzahlen. Als sie seine Schritte vernahm, holte sie tief Atem, und noch einmal, als es klopfte, bevor sie „Herein!“ rief, „die Tür ist offen.“
Der Besucher trat ein, derweil sie betont gemächlich das Tagesdatum auf die erste, leere Seite schrieb und gar nicht merkte, dass er ihr schon grinsend über die Schulter blickte. Erst seine penetrante Ausdünstung ließ sie verstört das Heft zusammenklappen und es beiseitelegen.
    „Ach, der Herr Kloczowski!“ Sie tat überrascht, erhob sich und trat unsicher auf ihn zu. Sie streckte ihm etwas linkisch die Rechte hin und sagte: „Guten Tag, mein Herr, Ihr Zimmer ist fertig!“ und zog ganz unversehens ihre Hand wieder zurück, bevor er sie ergreifen konnte. „Ich darf wohl vorgehen, mit Ihrer gnädigen Erlaubnis“, fügte sie lächelnd an, den Schlüssel vom Brett nehmend.
    Der Warschauer war erst ganz perplex. Diese Töne hatte er nicht erwartet, und auch ihre Erscheinung vermochte er zunächst gar nicht zu fassen. Nichts an dieser geschmackvoll gekleideten, gutaussehenden Frau erinnerte an das einfache verschüchterte, recht neckisch aussehende Heimchen vom Vortag. Als sich Michaela ihm an der offenen Tür des Zimmers wieder zuwandte, ertappte sie ihn bei einem interessiert-gelüstigen Blick. Angebissen hat er, der Filou, dachte sie mit grimmiger Genugtuung. Mit überlegen hochgezogenen Brauen fahndete sie nach seinen Koffern und fragte: „Wo hat der Herr denn seine Siebensachen?“ und setzte, da er nicht begriff, hinzu: „Ihr Reisegepäck?“
    „Ach das!“ Er lächelte und wies auf seinen Aktenkoffer. „Vorläufig wird genügen.“ Und da sie nicht sofort verstand: „Bin ich viel unterwegs, gnädige Frau, will hier nur einmal oder zweimal Sprechstunde abhalten, am Vormittag.“
    „Ach, da wollen Sie hier gar nicht schlafen?“ entschlüpfte es Michaela verblüfft und eine Spur zu impulsiv in einer Mischung aus Erleichterung und Bedauern.
    Herr Kloczowski, der lediglich Letzteres heraushörte, kam sich vorbeugend näher heran und sagte in frecher, vertraulicher Anzüglichkeit: „Warum nicht schlafen auch einmal, wenn schöne Frau wünscht!“ Aus breit grinsendem Gesicht, sehr nah dem ihren, fixierten seine blauen, eng beieinanderliegenden Augen ihren jetzt wieder flackernden Blick. Abstoßend berührte sie erneut dieses Geruchsgemisch aus Haarwasser, Leder und Zigarettenrauch; es machte sie schwindeln, sie fühlte sich wie hypnotisiert.
    Freilich gewann ihre Entrüstung rasch Oberhand, brüsk wandte sie sich ab. „Ich weiß gar nicht, wie ich das verstehen soll“, brachte sie mühsam beherrscht heraus. Herr Kloczowski lachte nur

Weitere Kostenlose Bücher