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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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die ihr unbegreifliche Heiterkeit: „Wann gehen wir denn nun endlich in den Broilerpark?“ Alle Augen richteten sich unter verstärktem Lachen auf die Göre.
    „Du verwechselst den Alex-Grill mit dem Kinderpark im Zoo“, sagte Willi. Allgemein aber nahm man ihre unschuldigen Worte als Signal zum Aufbruch.
    Janine war zwar jetzt froh, dem Drängen der Kinder nachgegeben zu haben, doch mit dem erhofften Abschalten war das so eine Sache: Die Jahre des Gleichschritts waren nicht spurlos an einem vorbeigegangen, in die aufbrodelnden Ereignisse wurde man wie in einen Strudel mit hineingezogen, und immer drückender lasteten abgewürgte Streiks, mangelnde Kaufkraft und leere Regale auch auf ihrem Gemüt.
    Sie fanden gerade noch Platz auf der vorderen Plattform, und Klein-Evchen begehrte von Willi auf den Arm genommen zu werden, weil sie die Fahrerin beobachten wollte beim Betätigen von Kurbel und Gasrad, Hebeln und Knöpfen der Funkenkutsche, mit denen die Tramfahrerin anfuhr, beschleunigte, abbremste und hielt; das als besonderen Spaß empfundene Quietschen der Räder in den Kurven begleitete die Kleine ihrerseits mit quieksendem Juchzen und übertönte dabei das vorherrschende aufgeregte Stimmengewirr, aus dem einzelne Satzfetzen hochgespült wurden; aneinandergereiht drückten sie eine kollektive Empfindung aus: den unbändigen Willen, sich ohne Unterlass aufzubäumen, in einer Mischung aus Wut und Verzweiflung, Enttäuschung und Empörung je nach Temperament und Weltanschauung.
    Janine beschaute sich diese erregten Fahrgäste. Außer den hauptsächlich vertretenen älteren Leuten und jüngeren Frauen mit Kindern standen vereinzelt Männer dazwischen, die sich an keiner Auseinandersetzung beteiligten, sondern ernst oder stumpf, alle regungslos und mit unbewegter Miene im Gedränge standen, als gingen sie die Affären um sie herum gar nichts mehr an.
    Am Bahnhof Schönweide mussten die Ausflügler umsteigen, konnten aber nur kurz befreit aufatmen, als sie aus der schwül-stickigen, übelriechenden Sardinenbüchse an die frische Luft gelangten, weil die S-Bahn, die nach Berlin-Mitte zum Alex fuhr, nicht auf sich warten ließ. Die Luft war hier nicht besser, dafür hatte das Publikum mit einem Schlag gewechselt; zwar herrschte auch hier Gewühl, und sie mussten bis zum letzten Waggon laufen, ehe sie für alle Sitzplätze ergattern konnten, aber es waren nur noch einzelne ältere Menschen zu sehen, abgesehen von einigen Omas, die meist ohne Begleitung von Tochter oder Schwiegertochter mit ihren Enkelkindern das prächtige Herbstwetter zu einem Bummel im Tierpark ausnützen wollten. Helle Kinderstimmen brabbelten und schrien ohrenbetäubend durcheinander. Klein-Evchen bestürmte ihre Mutter mit Fragen darüber, was sie alles im Tiergarten zu erwarten hatten, bis es schließlich soweit war und sie den Alex betraten und sich klein und winzig vorkamen. Der Eindruck des Einschrumpfens und Entrückens milderte sich, als sie vor dem Bußesignal, dem kleinen verwitterten „Sühnekreuz“ der Marienkirche standen, aus der im Hintergrund der Fernsehturm zu wachsen schien wie aus einer riesigen Muschel, und geriet inmitten der Größe der neuen Bauten und der Weiträumigkeit der Anlagen wieder kolossal auf „Weltniveau“, als die hinter einer schwarzen Wolke hervorbrechenden Sonnenstrahlen ein kreuzförmiges Symbol, die „Rache Wojtylas“, auf die Kugel der Telewarte zeichneten. Klein Evchen winkte und rief gestikulierend und mit heller Kinderstimme in die Höhe.
    „Auf Antwort kannst du lange warten“, meinte Willi. „Feedback kennt Walters Protzkeule nicht.“
    Janine nickte versonnen. „Sein Urheber nannte den nach ihm bezeichneten Sankt Walterspargel `Turm der Signale´, aber es handelt sich um einen Sender, keinen Empfänger.“
    Die kleine Eva hatte innegehalten und schaute mit offenem Mund und verständnislos von Janine auf Willi, der eine weitere für sie unbefriedigende Erklärung abgab: „Die Kommunikation ist hier äußerst einseitig. Auch ein Signalement: Es hat Mitteilungen von oben nach unten, aber keine Rückwirkung.“
    Im Restaurant-Café wollte Janine sich der Kinder wegen nicht ans Ende der Riesenschlange Wartender zum Platzieren an eingedeckte Tische anstellen, auf die heute Grilletas, nach Art des Landes gegrillte Rindfleischbouletten mit Brötchen innen und Spezialschrippen außen sowie Garnitur und scharfer Sauce, aufgetragen wurden. Also genossen sie von der Aussichtsetage aus gänzlich

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