Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
Vom Netzwerk:
schon anjezojen is, der Lackaffe, der!“
    Er hatte den schnauzbärtigen Blonden nur ein einziges Mal zu Gesicht bekommen, aber sogleich eine instinktive Abneigung gegen ihn gefasst. Seine Mutter dachte zwar das gleiche, verwies ihren Sohn aber in ruhigem Ton: „Wie dem auch sei, dein Bier isset janz und jar nich! Bessa, du siehst zu, det de ooch ins Bette kommst!“ Sie wollte Michaelas Freude nicht ohne Not durch zwecklose Diskussionen trüben.
    Dem kleinen Willi schoss ob dieser Maßregelung das Blut in die Wangen. Er sagte mit trotzigem Gesichtsausdruck knapp gute Nacht und verließ mit unsicheren Schritten die Küche.
Er konnte nicht einschlafen, dachte zornig und mit Missfallen an diesen neuen Mitbewohner, und Eifersucht auf den Fremden gesellte sich zu seiner Antipathie; das großspurige Auftreten dieses Gecken schien Michaela offensichtlich stark beeindruckt zu haben. Die abwertende Meinungsäußerung vorhin musste seine Hausgenossin vom Parterre doch wohl etwas verletzt haben; jedenfalls hatte sie ihm keinen Abschiedsblick mehr gegönnt, als er Gute Nacht sagte. Willi überkam eine dumpfe Traurigkeit und ein unerklärliches Schuldgefühl.
    Ich werde mit Täve und Huschke darüber sprechen, nahm er sich vor. Die werden mir recht geben, wenn ich ihnen den blonden Affen nur zeige! Ihm brummte der Kopf, und auch seine Wangen glühten nicht nur von den zwei Gläschen Braunen.
    Und morgen ist die Geburtstagsfeier von der Ministerin für Volksbildung Margot ... wenn ich an die Hammelherde in der Aula denk´ ... und das mitten in den Ferien ... natürlich freimüssig ... und alles nur wegen dem Ehegespons des vergreisten Vorsitzenden ... hört die Signale ... Michaela, warum hast du mir keinen einzigen Blick geschenkt ... bald ist es aus mit dem faulen Zauber ... bloß wegen dem polnischen Stenz ... der Pappkamerad mit dem Arschgesicht ... ich kann den Kerl nicht ausstehen ... die Wende wird ... überkleben die Wurfbudenfiguren...
     
    „Justav, uffstehn!“ rief das Mädchen, und als der Angesprochene sich nicht rührte: „Täve, Täve, aufwachen!“
    Das Mädchen rüttelte ihn zum wiederholten Mal, ganz ohne Erfolg. „So wach doch endlich auf, Täve!“ Aber der grunzte nur widerwillig etwas, das wie „Ferien“ klang, drehte sich zur Wand und schnarchte weiter.
    Kerstin stand im Pyjama neben seinem Bett, war noch dabei, zur Feier des Tages ihren zweiten Zopf zu flechten, schnitt eine verzweifelte Grimasse und stampfte endlich mit dem Fuß auf. „Ich kenne meinen Pappenheimer“, murmelte sie, ohne einen Gedanken zu verschwenden an die Erstürmer und Plünderer Magdeburgs, die 1631 traurige Berühmtheit erlangten: Wenn ihr Bruder einmal schlief, ließ er sich unvermerkt und ohne Weiteres wegtragen. Heute aber war keine Zeit zu verlieren, wenn sie rechtzeitig zu den Geburtstagsfeierlichkeiten der Volksbildungsministerin kommen wollten. Angesichts ihres bereits wieder in Tiefschlaf versunkenen Bruderherzes kam ihr eine rettende Idee: Mit spitzbübischem Zug um die zusammengepressten Mundwinkel beugte sie sich über ihn, um ihn nochmals an der Schulter zu packen, ihn kurz, aber heftig durchzurütteln und ganz nahe an seinem Ohr sehr prononciert einen einzigen Namen zu rufen: „Eichhorst!“
    Wie von der Tarantel gestochen fuhr Gustav empor, stand im nächsten Augenblick senkrecht im Bett und rief, gleichsam die Hacken zusammenschlagend: „Jawoll!“ Kerstin blieb gerade noch Zeit zurückzuweichen, da sonst ihrer beider Köpfe zusammengeprallt wären. Sie musste hellauf lachen, während ihr Bruder verwirrt herumfuhr, sich mit hastigem Handrücken über seine schlaftrunkenen Augen wischte und hervorstieß: „Wat ... wat issenn los?“
    „Wat nich anjebunden is, du Hirn!“ gab sie zurück und machte sich daran, ihren Zopf, der sich durch ihr Gelächter wieder aufgelöst hatte, erneut zu flechten.
    „Wir ham Schulferien!“ rief Gustav erbost.
    „Eichhorst wird dir was von Schulferien husten, wenn de zu spät zur Feier kommst“, sagte sie achselzuckend und entschwand schnell in ihr Zimmer, wo sie sich trällernd fertig ankleidete.
    Gustav indes sprang mit einem Satz aus der Koje. Denn seine Schwester hatte gar nicht unrecht: Mit Eichhorst war nicht gut Kirschen essen. Er blickte auf den Wecker, dessen Zeiger schon fünf Minuten über die Zeit offenbarten. Unglücklich war er nicht gerade darüber, dass es lediglich zu einer Katzenwäsche reichte, und er zog sich überstürzt an, weil er in einer knappen

Weitere Kostenlose Bücher