Letzter Gipfel: Ein Altaussee-Krimi (German Edition)
teilgenommen hat, ohne dass er auf einem Foto auftaucht.“
„Fünf!“, sagte Gasperlmaier, und hielt alle Finger seiner linken Hand vor die Windschutzscheibe. Bereits zum zweiten Mal hatte sich die Frau Doktor heute bezüglich einer Zahl geirrt. „Vergessen Sie nicht den Schmetterling! Was ist mit der Frau Schneider?“ Die Frau Doktor warf Gasperlmaier einen skeptischen Blick zu, der immerhin so lang andauerte, dass sie beinahe ein vor einem Kreisverkehr bremsendes Auto übersehen hätte. Gasperlmaier wurde beim folgenden Notbremsmanöver abrupt nach vorne geschleudert. „Sehen Sie, Gasperlmaier, das kommt davon, wenn Sie mich mit so einem Blödsinn ablenken.“ Gasperlmaier fühlte sich in seiner Ehre gekränkt. Die Frau Doktor wollte einfach nicht wahrhaben, dass der Schmetterling auf dem linken Busen einer Frau auf dem Foto in der Vinothek der Susi Schneider gehörte. Dabei gab es ja weiß Gott nicht so viele Damen, die sich eine solche Tätowierung machen ließen. Gasperlmaier kannte jedenfalls keine zweite mit einem solch auffälligen Erkennungsmerkmal. Die Frau Doktor würde schon noch sehen, dass er recht hatte.
„So!“, sagte die Frau Doktor, als sie auf den Parkplatz Dachsteinblick einbog. „Den Dachstein werden wir heute wohl nicht sehen.“ Gasperlmaier warf einen Blick aus dem Autofenster, doch dort, wo sich der Dachstein befinden hätte sollen, trieben nur dunkelgraue Wolken dahin. Die Frau Doktor parkte hinter einem orangefarbenen Kleinwagen, aus dem, kaum, dass sie angehalten hatte, die Frau Magister Zettel ausstieg. Oder Magistra, wie Gasperlmaier heute dazugelernt hatte. Die Frau Magistra winkte kurz, öffnete die hintere Tür und setzte sich zu ihnen ins Auto. Sie schlug die Tür zu und streckte ihre rechte Hand zwischen den beiden Vordersitzen durch. „Guten Tag! Ich bin gerade gekommen. Schön, dass es heute hingehauen hat.“ Die Frau Magistra Zettel trug einen schwarzen Rock, schwarze Stiefel und Strümpfe und eine schwarze Lederjacke. Zu ihren schwarzen Haaren und ihrem hellen Gesicht sah das zwar sehr dunkel, aber überaus attraktiv aus, dachte Gasperlmaier bei sich. Er reichte ihr die Hand, die sie kräftig drückte. Kühl und trocken waren ihre Hände, ein angenehmer Händedruck, fand Gasperlmaier, der dem Händedruck einer Person große Bedeutung beimaß. War er schlaff und lose, konnte man darauf schließen, dass auch der Besitzer der Hand nicht gerade vor Energie strotzte. Gasperlmaiers Schwiegermutter hingegen hatte so eine Art, nach einer gereichten Hand förmlich zu schnappen und daran zu reißen, dass auch in diesem Fall, so fand zumindest Gasperlmaier, Rückschlüsse auf den Charakter nahelagen. Der Händedruck der Frau Magistra war angenehm und sympathisch. Überhaupt war sie eine von Kopf bis Fuß angenehme Erscheinung. Obwohl dünn, hatte sie volle Gesichtszüge und leuchtende, dunkle Augen. Sogar ihr Halstuch war schwarz, ebenso wie die Schminke um die Augen, dennoch fand Gasperlmaier, dass sie keineswegs so düster wirkte wie beispielsweise die Maggie Schablinger, die diese Farbe ja auch vorzog.
Die Frau Doktor löste ihren Sicherheitsgurt und drehte sich zur Frau Magistra um. „Tut mir leid, dass ich mich gestern nicht gemeldet habe. Es ist etwas dazwischengekommen, das mich sogar aufs Telefonieren vergessen hat lassen.“ Die Frau Magistra winkte ab. „Ist ja nicht so schlimm. Ich hab ja auch nicht lange gewartet – da ist ein Auto mit ein paar komischen Männern stehen geblieben, da bin ich lieber verschwunden.“
„Was wollten Sie mir denn eigentlich in der Schule nicht erzählen?“, fragte die Frau Doktor. „Jaaa …“ Die Frau Zettel zog das Ja ein wenig lang hin und schien dann unentschlossen, weiterzusprechen. „Ich möchte ja auf keinen Fall Gerüchte verbreiten oder jemandem schaden, und vielleicht ist es ja auch ganz unwichtig, was ich Ihnen erzählen wollte.“ Die Frau Doktor lächelte. Gasperlmaier wusste natürlich, dass sie innerlich vor Ungeduld am Platzen war, so gut kannte er sie schon, aber das war wohl fortgeschrittene Taktik in Gesprächsführung: Man musste darauf achten, dass sich der Gesprächspartner wohlfühlte, sonst bekam man am Ende gar nichts zu hören, wenn man drängte und bohrte.
„Aber …“ Wieder hielt die Frau Zettel inne. Sie rieb sich mit dem rechten Zeigefinger über den, wie Gasperlmaier auffiel, ausgesprochen zarten und wohlgeformten Nasenrücken. „Sie behandeln das vertraulich? Und wenn ich nicht recht habe,
Weitere Kostenlose Bücher