Letzter Gipfel: Ein Altaussee-Krimi (German Edition)
sie mussten zu nachtschlafener Zeit auf die Jagd nach dem Magister Fritzenwallner gehen. Der aber, so dachte Gasperlmaier bei sich, war schließlich bloß ein gewöhnlicher Mörder und kein Mafioso, der würde ihnen schon nicht davonlaufen. Morgen war gewiss noch Zeit, ihn zu suchen und einzufangen, er würde ja nicht gerade jetzt, in der Zwischenzeit, neuerlich eine Frau auf den Loser schleppen und von dort hinunterstoßen. Womöglich war er ja sogar schon in Haft, schließlich waren vor seiner Wohnung Posten installiert worden.
Wenig später hatte Gasperlmaier es sich mit der Zeitung auf dem Sofa bequem gemacht, während die Christine noch mit dem Geschirr in der Küche herumklapperte. Die Kinder hatten sich längst in ihre Zimmer verzogen. Aus Christophs Zimmer war gelegentlich lautes Gelächter zu hören, obwohl er allein war. Gasperlmaier hatte aufgegeben, sich um den Geisteszustand seines Sohnes Sorgen zu machen, als er darüber aufgeklärt worden war, dass man über Internet mit Freunden genau so reden konnte, als wären sie im Zimmer. Ihn selber plagte schlechtes Gewissen, weil er sich vor dem Aufräumen der Küche verdrückt hatte, so schlecht war es aber auch wieder nicht, dass es ausreichte, ihn zum Aufstehen zu bewegen, um der Christine doch zu helfen.
Wenig später gesellte sich die Christine zu ihm und schaltete den Fernseher ein. „Magst du nicht ‚Steiermark heute‘ schauen? Da kommt doch sicher was über eure Morde!“ Gasperlmaier hatte das Gerät ganz bewusst ausgeschaltet gelassen, er hatte irgendwie überhaupt keine Lust, jetzt neuerlich mit seiner Arbeit konfrontiert zu werden, er wollte das lieber draußen halten.
Die Sendung hatte bereits begonnen, irgendein Bericht über eine neue Operationsmethode lief. Als Gasperlmaier seine Zeitung sinken ließ, starrte er mitten in den geöffneten, blutigen Brustraum eines Patienten, dessen Herz deutlich sichtbar rhythmisch pulsierte. Schnell hob er die Zeitung wieder hoch, vermochte sich aber nicht auf den Artikel zu konzentrieren, den er gerade gelesen hatte. „Sagst mir’s, wenn das mit der Operation wieder vorbei ist“, brummte er zur Christine hinüber. Doch bereits wenige Sekunden später kündigte die Sprecherin einen Beitrag über eine abscheuliche Bluttat im benachbarten Oberösterreich an. „Einem Mordanschlag zum Opfer gefallen ist heute der Leiter des Bundesgymnasiums in Bad Ischl. Er wurde nachmittags erschossen in seinem Büro gefunden.“ Die Sprecherin verschwand vom Bildschirm, stattdessen wurde formatfüllend die Gestalt des Major Hinterholzer sichtbar, der fast schläfrig in die Kamera blickte. „Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren!“, sagte er, „und wir können derzeit gar nichts ausschließen.“ „Könnte es sich um einen Racheakt eines gescheiterten Schülers handeln?“ Der Reporter sprach aus dem Off, man konnte ihn nicht sehen. „Sehr geehrter Herr Reporter“, seufzte der Major Hinterholzer, „Sie verwenden den zweiten Konjunktiv: könnte. Das heißt, Sie fragen mich, ob die Möglichkeit besteht, dass es so war, wie Sie sagen. Und die Antwort darauf heißt natürlich: Ja, diese Möglichkeit besteht. Aber nur deswegen, weil wir zum jetzigen Zeitpunkt keine Möglichkeit ausschließen können oder wollen, wie ich Ihnen ja bereits gesagt habe.“ Der Reporter schien verwirrt, denn er zögerte mit seiner nächsten Frage. „Kann es auch ein Raubmord gewesen sein?“ Der Major Hinterholzer seufzte tief. „Sehr verehrter Herr Reporter“, wiederholte er seine leicht ironisch gefärbte Anrede, „ich muss Sie auf meine erste Antwort verweisen, die die Antwort auf Ihre jetzige Frage bereits vorwegnimmt.“ „Das ist ja fast ein Philosoph, dein Kollege da“, meinte die Christine schmunzelnd, während das Geplänkel zwischen dem Journalisten und dem Major Hinterholzer seinen Fortgang nahm. „Der nimmt den Reporter ja ganz schön auf die Schaufel.“ Gasperlmaier hatte dem Gespräch lediglich entnommen, dass es keine neuen Erkenntnisse gab – oder dass die Polizei in Oberösterreich keine Informationen an die Öffentlichkeit weitergab. Natürlich hatten es die Fernsehleute nicht lassen können – nach dem Interview folgten die ewig gleichen Fragen an Schüler und Schülerinnen, Lehrer und Nachbarn, deren Antworten keinerlei wesentliche Informationen enthielten. Gasperlmaier fragte sich, warum sich das Fernsehen ununterbrochen von Passanten bestätigen lassen musste, dass Verbrechen ganz, ganz schrecklich waren.
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