Letzter Gipfel: Ein Altaussee-Krimi (German Edition)
näher und stellte fest, dass er die Frau schon einmal gesehen hatte. Erst gestern war es gewesen, in Altmünster draußen. Da hatte er der Frau Märzendorfer und ihrem Mann gegenübergesessen, sie eingeschüchtert, er mit einer unverkennbaren Ausstrahlung von Gewalt und Geringschätzung seiner Frau gegenüber. „Grüß Sie, Frau Märzendorfer!“ Gasperlmaier streckte ihr die Hand hin und bekam eine tränennasse rechte hingestreckt, die er kurz drückte, ohne dass von der Frau Märzendorfer Gegendruck zu spüren war. Schon hatte sie ihr Gesicht wieder in den Händen vergraben und schluchzte, dass man Mitleid haben musste. „Die Frau Märzendorfer“, klärte der Friedrich Gasperlmaier auf, „ist aus Altmünster zu uns hergekommen. Weil sie gedacht hat, dass sie hier die Frau Doktor Kohlross findet. Und sie hat mir nur gesagt, dass sie nicht mehr heimkann und dass ihr Mann ihre Tochter umgebracht hat. Mehr weiß ich bisher nicht.“ Die Frau Märzendorfer heulte wieder auf, und Gasperlmaier zog einen Sessel heran, sodass er neben dem Friedrich sitzen konnte. „Ich hab die Frau Doktor auch schon angerufen, sie hat Neuigkeiten für uns, aber den Magister Fritzenwallner, den haben sie noch nicht aufgetrieben. Nicht einmal sein Auto.“
Gasperlmaier wollte es einmal mit der Frau Märzendorfer versuchen. „Frau Märzendorfer, Sie können sich doch an mich erinnern? Ich war gestern bei Ihnen.“ Die Frau blickte kurz auf und hörte auf zu schluchzen. „Wie kommen Sie denn auf die Idee, dass Ihr Mann ihre Tochter umgebracht hat?“ Schon begann das Schluchzen von neuem. Gasperlmaier ging zum Waschbecken und holte einen Stapel Papierhandtücher aus dem Spender. Er legte sie vor die Frau Märzendorfer hin, eines aber drückte er ihr gleich in die Hand. Folgsam wischte sie sich damit über die Augen. Sie mochten vielleicht ein wenig kratzig sein für das Gesicht einer Frau, dachte Gasperlmaier bei sich, aber bei dem Zustand, in dem sich die Frau Märzendorfer befand, war das auch schon egal.
Ganz leise begann die Frau Märzendorfer zu sprechen, richtete dabei jedoch ihre Blicke in ihren Schoß. „Er war immer so grob. Zu mir, und zur Sandra auch. Er hätte ja lieber einen Buben gehabt. Und ich war daran schuld, dass wir nur ein Kind gehabt haben. Und keinen Buben.“ Sie stockte wieder. Gasperlmaier warf dem Friedrich einen Blick zu und fragte: „Hat er Sie geschlagen?“ Die Frau Märzendorfer schüttelte den Kopf. „Mich nicht mehr. Mich hat er einfach gar nicht beachtet. Nur geschrien, wenn ihm das Essen nicht geschmeckt hat oder die Wohnung nicht sauber genug war.“ Gasperlmaier hatte eigentlich gemeint, ob er die Sandra geschlagen hatte, aber darauf wollte er nicht herumreiten. „Er hat Sachen gemacht“, sagte die Frau Märzendorfer. Der Kahlß Friedrich warf Gasperlmaier ein Blick zu und gab ihm mit einem Kopfnicken zu verstehen, er solle mit ihm ins daneben gelegene kleine Büro kommen. „Entschuldigen Sie uns einen Augenblick, Frau Märzendorfer. Wir sind gleich wieder bei Ihnen.“ Die beiden erhoben sich und schlossen, als sie den Nebenraum betreten hatten, die Tür hinter sich. „Glaubst du, dass er sie missbraucht hat? Die Tochter?“, fragte der Friedrich. „Was sollte sie denn sonst mit ‚Sachen machen‘ gemeint haben? Und ob sie Beweise hat, gegen ihren Mann, dass der die Sandra umgebracht hat?“ Gasperlmaier zuckte mit den Schultern und meinte nur: „Wir sollten sie jetzt nicht allein lassen. Hoffentlich kommt die Frau Doktor bald!“ Er öffnete die Tür wieder und setzte sich auf den Stuhl gegenüber der Frau Märzendorfer. Die saß zusammengesunken da. Hie und da gluckste sie noch leise, doch sie schien sich ein wenig beruhigt zu haben. Das wollte Gasperlmaier nicht aufs Spiel setzen und hielt vorsichtshalber einmal den Mund. Der Friedrich stampfte an ihm vorbei, schnappte sich sein Kapperl von der Garderobe und verschwand. Es wurde fast völlig still. Plötzlich begann die Frau Märzendorfer wieder zu sprechen. „Ich bin ja eigentlich schuld. Ich hab es ja zugelassen. Niemandem hab ich was gesagt. Ich hab mein Kind verraten. Nicht einmal, als er sie umgebracht hat, hab ich es jemandem gesagt. Ich bin an allem schuld.“ Monoton, fast tonlos hatte sie die Sätze hervorgestoßen. Gasperlmaier fühlte sich mit der Situation überfordert. Die Frau tat ihm furchtbar leid, doch er hatte keine Ahnung, wie er mit ihr umgehen sollte und ob er sie trösten konnte oder nicht. Einfach so dasitzen
Weitere Kostenlose Bücher