Letzter Gruss - Thriller
alles nur so schiefgehen?
Ihr Mobiltelefon klingelte, was sie nur deshalb bemerkte, weil sie es in der Hand hielt.
Es war Forsberg.
»Wie sieht’s aus?«
»Ich dachte, das Spektakel hier wird live auf siebzehn Kanälen ausgestrahlt?«, entgegnete Dessie.
»Man sieht nur einen Wald aus Mikrofonen. Hast du Kontakt mit Alexander Andersson?«
»Weiß nicht, wo der steckt«, sagte Dessie. »Ich stehe ganz hinten.«
Forsberg kam zur Sache.
»Ist es wahr«, fragte er, »dass du sie interviewt hast? Während sie in U-Haft saßen?«
Sie ließ das Podium nicht aus den Augen.
»Du musst nicht alles glauben, was du hörst. Da kommen sie.«
Der Spiegelsaal explodierte in einem Meer aus Blitzlichtern und Scheinwerfern. Durch eine Tür vorne links betrat Malcolm Rudolph den Raum, er trug ein hellblaues Hemd mit offenem Kragen und ein paar modisch zerlumpte Jeans.
Hinter ihm erschien seine Schwester Sylvia, ihr welliges, kastanienbraunes Haar funkelte im Blitzlicht. Sie war ganz in Weiß gekleidet.
»Wow«, sagte Forsberg an ihrem Ohr. »Sieht die toll aus!«
»Ich ruf dich später an«, sagte Dessie und drückte das Gespräch weg.
Als Letztes kam eine große, schlanke Frau herein, in der Dessie Rechtsanwältin Andrea Friedrich erkannte.
Die Hauptpersonen nahmen vor dem Wald aus Mikrofonen Aufstellung und posierten drei lange Minuten, um sich ausgiebig fotografieren zu lassen. Dann beugte sich die Anwältin vor und sagte im majestätischen Englisch der Queen:
»Wir würden nun gern die Pressekonferenz eröffnen …«
75
Die Botschaft war sonnenklar: An diesem Tag war ein skandalöser Justizirrtum abgewendet worden.
Das wurde während der 45-minütigen Direktsendung immer und immer wiederholt.
Conferencier der Veranstaltung war Andrea Friedrich. Dessie stellte fest, dass sie ihre Aufgabe glanzvoll meisterte.
Dank Staatsanwalt Evert Ridderwalls Zivilcourage war den unschuldigen jungen Leuten ein weiterer Tag voller quälender Verhöre und eine weitere Nacht im Gefängnis erspart geblieben.
Die Geschwister Rudolph hatten selbstverständlich nichts mit den Postkarten-Killern zu tun.
Schon der Verdacht war völlig absurd.
Systematisch führte die Anwältin all die Umstände auf, die auf ihre Unschuld verwiesen.
Dass sie sich in Madrid aufgehalten hatten, als die Morde in Athen verübt wurden.
Dass sie zum Zeitpunkt der Salzburger Morde in Südspanien gewesen waren.
Dass sie zur selben Zeit Theaterkarten kauften, als die Morde in Berlin passierten.
Dass das holländische Paar Nienke van Mourik und Peter Visser nachweislich am Leben war, als die Geschwister Rudolph ihr Hotelzimmer verließen.
Dass die schwedische Polizei sie festgenommen und verhaftet hatte, weil sie sich Kunstwerke angesehen hatten .
»Ich habe noch nie zuvor einen so fatalen justiziellen Übergriff erlebt«, sagte Andrea Friedrich.
Dessie blickte sich im Saal um und sah die aufgebrachten Blicke der Kollegen. Sie teilten die Empörung der Anwältin.
Was, wenn sie selbst sich geirrt hatte?
Hatte sie sich von Jacob beeinflussen lassen, einem Mann, der in dem Fall nun wirklich nicht unparteiisch war?
Waren die Rudolphs unschuldig?
Sie schluckte mühsam.
Nun war die Reihe an den Geschwistern, selbst für sich zu sprechen. Malcolm begann.
Er weinte, als er erzählte, wie sehr es ihn geschmerzt hatte, vom Tod der holländischen Freunde erfahren zu müssen. Die Blitzlichter hagelten auf ihn ein, während die Tränen über sein hübsches Gesicht kullerten.
Sylvia war gefasster, aber gleichzeitig sehr demütig.
Die Postkarten-Killer waren zweifellos die schlimmsten Mörder, die jemals auf dem europäischen Kontinent gewütet hatten. Sie konnte verstehen, dass die Polizei jedem Verdacht nachgehen musste, das konnte sie wirklich. Dass sie und ihr Bruder zufällig und völlig schuldlos in die ganze Sache hineingezogen worden waren, konnte man nur bedauern. Sie war auf jeden Fall dankbar, dass das schwedische Rechtswesen einigermaßen funktionierte und dass grundlos angeschuldigte Menschen nicht weiterhin eingesperrt blieben, auch wenn es reaktionäre Polizeikräfte gab, die auf solche Dinge wie Motive und Beweise pfiffen.
»Glauben Sie wirklich, wir hätten erst einen brutalen Doppelmord verüben und anschließend Theaterkarten für ›Endstation Sehnsucht‹ kaufen können?«, sagte sie, und nun füllten sich auch ihre Augen mit Tränen.
»Wofür halten Sie uns? Für gefühlskalte Monster?«
Das Blitzlichtgewitter explodierte.
Dessie
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