Letzter Gruss - Thriller
»Marcel Duchamp hat versucht, auf einer Ausstellung in New York 1917 ein Pissoir zu zeigen. Er wurde abgelehnt.«
»Das ist nicht dein Ernst«, sagte Jacob.
»Hier, sieh selbst«, erwiderte Dessie.
Jacob seufzte und setzte sich auf.
Die Fotogalerie enthielt eine lange Reihe merkwürdiger Bilder, die er kaum mit Kunst verband: Autobahnen, Müllkippen, eine deprimierte Kuh und einige verwackelte Fotos, die – welche
Überraschung! – Autobahnen, Müllkippen und vermutlich dieselbe Kuh zeigten.
Letzteres war allerdings nicht mit Sicherheit zu erkennen.
»Das ist doch krank«, sagte Jacob.
»Ihr krankes Kunstprojekt hat sie von der Uni katapultiert«, sagte Dessie. »So was hier ist wichtig für sie.«
Jacob stand auf, um seine Jeans zu suchen.
Er fand sie auf der Türschwelle zum Flur.
Mit der Hose in der Hand blieb er stehen und blickte in Dessies Wohnzimmer.
Hier war Endstation, in einer Wohnung kurz vor dem Nordpol. Er hatte alles getan, was er konnte, aber es hatte nicht gereicht. Kimmys Mörder würden ungeschoren davonkommen. Wie sollte er damit leben können? Was war die Alternative?
»Du«, sagte Dessie. »Schau mal hier.«
»Was?« Er ging zurück zum Bett.
»Teile der Website sind gesperrt. Wir brauchen ein Passwort.«
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Ein neues Fenster war vor dem grauen Hintergrund aufgetaucht, mit der Aufforderung Login .
Dessie schrieb »sola« in das Login-Feld, und der Bildschirm blinkte kurz auf.
Sorry – falsches Passwort.
»Nein, das wäre auch zu einfach gewesen«, sagte sie.
Plötzlich durchzuckte Jacob eine Idee.
Im Protokoll wurde ein Schlüssel erwähnt, zu dem es keinen Raum gab.
Hier war ein verschlossener Raum, aber kein Schlüssel.
»Da könnte was dran sein«, sagte er. »Versuch mal ›rudolph‹.«
Sorry – falsches Passwort.
Jacob starrte Dessie an. Ihm fiel sein letztes Telefonat mit Lyndon Crebbs wieder ein.
Meinst du nicht, dass es sich um mehrere Mörder handeln könnte? Dass die Rudolphs von Trittbrettfahrern kopiert werden? Ihm hallte seine eigene Antwort in den Ohren: Falls es sich um mehrere Mörder handelt, müssten sie sich abgesprochen haben.
»Falls die Rudolphs Helfer hatten«, sagte Jacob, »müssen sie irgendwie in Kontakt gestanden haben. Könnten sie die Website benutzt haben, um sich untereinander auszutauschen?«
Dessie hob die Finger von der Tastatur, als hätte sie sich verbrannt.
»Wo hast du die Ansichtskarte?«, fragte Jacob.
Dessie streckte sich nach ihrem Rucksack, der vor dem Bett stand. Sie hob ihn herauf und kippte den Inhalt auf der Bettdecke aus.
»Was hast du vor?«, fragte sie.
»Alle Worte ausprobieren, die auf den Karten stehen«, antwortete Jacob. »Was ist das hier?«
Er griff nach einem Foto, das ihm unbekannt war. Es zeigte zwei tote oder schwerverletzte Menschen in einem Zimmer, das deutliche Spuren eines Kampfes trug.
Dessie warf einen hastigen Blick auf das Bild.
»Das ist das Foto aus Salzburg. Ich habe mit der Reporterin gesprochen. Sie hat es mir gemailt.«
Sie probierte Wort für Wort aus: »rom«, »paris«, »madrid«, »athen«.
Sorry – falsches Passwort.
»Was sind das hier für Zahlen?«, fragte Jacob und zeigte auf die Ziffernreihe, die auf der Rückseite des Briefumschlags aus Salzburg stand.
»Die Telefonnummer einer Pizzeria in Wien. Hat nichts mit der Sache zu tun«, erwiderte Dessie.
Sie gab nacheinander die Namen aller Sehenswürdigkeiten auf den Ansichtskarten ein: »tivoli«, »colosseum«, »las ventas«.
Jacob zog die Bilder aus Kopenhagen und Oslo hervor.
Oslo ging auf das Konto der Rudolphs.
Kopenhagen war der Nachahmer.
»Angenommen, sie haben ein Passwort, das kein Wort ist, sondern was anderes?«
Dessie sah ihn nachdenklich an.
»Wann braucht man die Information?«, fragte Jacob. »Wann ist man am dringendsten auf Anleitung angewiesen? Wenn man unmittelbar davor ist, seinen Auftrag auszuführen, oder?«
Dessie starrte ihn wortlos an.
»Wo schreibt man das Passwort auf, das man braucht, um an seine Anweisungen zu kommen? Genau, auf etwas, das gerade zur Hand ist.«
Er hielt die Kopie mit der Rückseite des Briefumschlags aus Salzburg hoch.
»Die Rudolphs hatten ein Alibi für den Mord in Österreich«, sagte er. »Er muss also von ihrem Mittäter ausgeführt worden sein. Versuch es mal mit der Zahlenreihe.«
Dessie zog den Laptop zu sich heran und tippte langsam die neunstellige Nummer ein.
Und drückte Enter .
Der Bildschirm flackerte auf.
Ein neues Bild erschien.
Dessie
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