Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi
Pissoir, die hatte er noch nicht einmal eingestanden. Nun war die Möglichkeit zu einem Geständnis durch die neuerliche Peinlichkeit in weite Ferne gerückt, er hatte der Frau Doktor erst einmal seine Qualitäten unter Beweis zu stellen. Wenigstens, so sagte sich Gasperlmaier, hatte nicht er selbst die Leiche der Frau Naglreiter aufgefunden, berührt oder verräumt, womöglich hätte er auch da alles falsch gemacht. Gasperlmaier dachte daran, was er seiner Christine heute Abend alles beichten würde müssen. Es würde ein längeres Gespräch werden, fürchtete er, mit Erklärungsbedarf ebenso wie Erklärungsnotstand.
Die Frau Doktor wies den Kajetan an, neuerlich näher an die Leiche heranzusteuern. „Sehen Sie das, Kahlß?“ Wieso sprach sie jetzt den Friedrich an? War der für die Ermittlungen plötzlich bedeutender geworden als er, Gasperlmaier, selbst? „Da, am Kopf, da ist ein Büschel Haare angeklebt, da klebt auch Blut. Ich wette, die ist erschlagen worden, bevor man sie ins Wasser geschmissen hat.“
Gasperlmaier begann sich zu fragen, wer es wohl darauf abgesehen haben könnte, die Naglreiter’sche Familie auszurotten. Er dachte an die beiden Kinder und setzte gerade an, die Frau Doktor zu fragen, ob es nicht vernünftig wäre, die beiden unter Polizeischutz zu stellen, als ihr Handy läutete. Gerade als sie es aus ihrer Handtasche gefischt und aufgeklappt hatte, sah Gasperlmaier, dass sich eine weitere Zille der Feuerwehr der Stelle näherte, an der sie neben der – malerisch schönen – Wasserleiche der Frau Naglreiter dahintrieben. Es mussten jene Feuerwehrleute sein, die den Auftrag hatten, die Leiche zu bergen. Die Frau Doktor lauschte währenddessen aufmerksam einer Stimme aus ihrem Handy, und Gasperlmaiers Interesse begann zu erwachen und sich zu räkeln, als er „Ja? Wirklich?“, „Geh, gibt’s doch nicht!“, „Darf ja nicht wahr sein!“ und ähnliche Formen des Ausdrucks von Überraschung hörte.
Als die Zille so nahe gekommen war, dass deren Führer den Motor auf Standgas drosselte, klappte die Frau Doktor ihr Handy zusammen. „Der Herr Doktor Naglreiter hat, wie ich soeben erfahren habe, seine Finger tief im Ostgeschäft drinnen gehabt, er war für mehrere Firmen aus Russland, Moldawien und der Ukraine tätig. Was er genau für diese Firmen gemacht hat, wird recherchiert.“ Sie sah Gasperlmaier an. „Möglicherweise werden sie uns den Fall wegnehmen, wenn da mehr dahintersteckt.“
Gasperlmaiers Kinnlade klappte hinunter. Erstens, weil ihn die Frau Doktor mit ihrem „uns“ als elementaren Bestandteil in ihre Ermittlungen aufgenommen hatte, zweitens wegen der Erwähnung einiger osteuropäischer Staaten, in denen der gewöhnliche Mitteleuropäer häufig und gern die Heimat des leibhaftigen Gottseibeiuns in Form vorbildlich organisierten Verbrechens ausmacht. „Die Russenmafia? In Altaussee?“ Die Frau Doktor zuckte die Schultern und hob die Augenbrauen. „Was weiß ich? Aber warum sollte die Russenmafia den Naglreiters ins Wochenende nachfahren? Und warum sollten sie die Frau Naglreiter, die ja wohl nichts mit den Geschäften ihres Ehemanns zu tun hatte, umbringen? Kommt mir komisch vor.“
Gasperlmaier sah seine Chance gekommen. „Noch dazu, wo wir ja noch gar nicht wissen, ob die Frau Naglreiter nicht schon vor ihrem Mann umgebracht worden ist, ich meine, wenn es eine Warnung an ihn hätte sein sollen, dann hätten sie ihn ja nicht auch gleich …“
Die Frau Doktor Kohlross wies mit dem Finger auf Gasperlmaiers Brust und sagte: „Bingo! Das habe ich mir gerade auch gedacht. Trotzdem, Gasperlmaier: Sie müssen mir herausfinden, ob hier in der Gegend – und damit meine ich alles bis Gmunden hinaus – irgendwo Russen abgestiegen sind oder Moldawier oder Ukrainer. Wir suchen natürlich nur nach Männern, Auftragskiller machen keine Familienurlaube.“
Von der anderen Zille schrie ein Mann in Feuerwehruniform herüber: „Sollen wir sie jetzt einladen?“
„Ja!“, rief die Frau Doktor zurück. „Aber möglichst wenig berühren, im Boot liegen lassen, bis der Gerichtsmediziner da ist.“ Gasperlmaier fragte sich, wie sich die Frau Doktor vorstellte, dass man eine Leiche aus dem Wasser ziehen sollte, indem man sie „wenig berührte“.
Offenbar wollte die Frau Doktor nicht unbedingt mit ansehen, wie die Leiche der Frau Naglreiter in die Zille gewuchtet wurde, denn sie gab dem Kajetan Anweisung, zum Seehotel zurückzufahren, wo ihre kleine Bootstour ihren Ausgang
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