Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi
habe in Zusammenhang mit den Anzeigen dieses Mannes schon wieder einen kapitalen Fehler gemacht. „Wissen Sie was davon, Gasperlmaier?“, wandte sich die Frau Doktor diesem zu. Gasperlmaier begann fieberhaft nachzudenken, doch immer dann, wenn er das Gefühl hatte, sofort und vernünftig antworten zu müssen, stellte sich dieses lähmende Gefühl einer völligen Sprach- und Gedankenlosigkeit ein. Sein Hirn schien leer. Wenigstens fiel ihm ein, wo er den Mann schon einmal gesehen hatte: auf dem Polizeiposten. Allerdings hatte er nicht mit ihm gesprochen. Seine Anzeigen hatte wahrscheinlich der Kahlß Friedrich aufgenommen. Bevor Gasperlmaier noch zu einer Antwort ansetzen konnte, fiel ihm Herr Podlucki ins Wort: „Den da“, er streckte einen seiner dürren Finger nach Gasperlmaier aus, „den kenn ich. Ich hab ihn auf dem Posten gesehen, aber die Anzeigen hab ich bei dem Dicken dort drüben erstattet.“ Er wies mit seiner Klaue auf den Kahlß Friedrich, der an der Absperrung stand und die Weißkittel beobachtete, die immer noch die Wiese nach verwertbaren Spuren absuchten. „Den wird übrigens bald der Schlag treffen, wenn er weiter so frisst.“ Die Frau Doktor hob die Augenbrauen, schwieg aber. Ein äußerst widerlicher und ungehobelter Zeitgenosse war der Herr Podlucki, dachte Gasperlmaier bei sich.
„Irgendwelche Ergebnisse, Ihre Anzeigen betreffend?“, fragte die Frau Doktor und hatte damit dem Dürren ein Stichwort gegeben, das er sich nicht entgehen lassen konnte. „Die Polizei tut doch nichts! Da können Sie anrufen, bis Sie schwarz werden, da können Sie Anzeigen erstatten, so viele Sie wollen! Es werden immer die Täter geschützt! Als Opfer bist du völlig hilflos! Wenn du dir selber nicht hilfst, bleibst du auf der Strecke!“
Gasperlmaier hatte nicht zum ersten Mal mit Leuten zu tun, die völlig ungehemmt und im Brustton fest verankerter Überzeugung ihre Vorurteile der Exekutive gegenüber zum Besten gaben, und das laut und lang anhaltend. „Herr Podlucki!“ Die Frau Doktor schaffte es nicht ohne Heben der Stimme und der Augenbrauen, seinen Redeschwall zu unterbrechen. „Anschreien brauchen Sie mich nicht!“, entgegnete dieser nach einer Schrecksekunde. „Behandelt man so Leute, die der Polizei helfen wollen?“ Die Frau Doktor stieß in die akustische Lücke: „Keinesfalls wollen wir Zeugen schlecht behandeln. Nur, verstehen Sie bitte, Herr Podlucki …“ Neuerlich unterbrach sie der Mann. „Man spricht ‚Podlutzki‘ und nicht ‚Podlutschki‘!“, fuhr er auf. „Entschuldigung. Also, verstehen Sie bitte, dass Ihre allgemeine Meinung über die Polizei hier keinen Platz hat und uns nicht weiterhilft. Was wir brauchen, sind Fakten. Ich entnehme Ihrer Aussage, dass trotz der Anzeigen keine Behörde tätig geworden ist. Ist das richtig?“ Sehr diplomatisch, die Frau Doktor, dachte sich Gasperlmaier, ich hätte wahrscheinlich wieder eine halbe Minute nach Worten gesucht, wenn der so auf mich losgeht, und dann hätte ich aufgebracht herumgeschrien und kein vernünftiges Wort mehr aus dem herausgebracht.
Podlucki begnügte sich überraschenderweise mit einem Nicken. „Haben Sie sonst in irgendeiner Weise mit den Naglreiters Kontakt gehabt wegen dieser Sache?“ Gasperlmaier wurde langsam neugierig, um welche Sache es sich handelte. „Natürlich, ich habe angerufen, wenn sie wieder einmal Krach gemacht haben.“
„Hat es dabei auch Beleidigungen gegeben, von Ihrer Seite oder von der der Naglreiters?“ Podlucki rutschte unruhig auf der Bank hin und her. „Da kommt es schon vor, dass böse Worte fallen!“, stieß er schließlich hervor.
„Nur von Ihnen oder auch vonseiten der Naglreiters?“
Podlucki bäumte sich auf und schoss seine Kralle in Richtung der Frau Doktor ab. „Wissen Sie, was der zu mir gesagt hat, der Naglreiter? Einen Querulanten hat er mich genannt, einen einfältigen Provinztrottel, einen Kerzerlschlucker und was weiß ich noch! Und dass ich dringend in Behandlung gehöre! Dass vielleicht noch was zu machen ist, wenn ich mich gleich auf die Psychiatrie lege!“ Schwer atmend zog Podlucki seinen Finger zurück.
Die Frau Doktor packte ihren Stift und das Notizbuch ein und streckte dem Herrn Podlucki ihre Hand hin. „Herzlichen Dank für Ihre Hilfe, Herr Podlutzki.“ Sie achtete sorgfältig auf die richtige Aussprache des Namens. Fast meinte Gasperlmaier, sie mache sich durch die übertriebene Betonung des Namens ein wenig lustig über den Marathonmann. Der
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