Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi
fragte sich, ob die Frau Doktor Kohlross es wohl schon gesehen und den Marcel damit zu einem Geständnis gebracht hatte.
Gasperlmaier nahm die Plätte genauer unter die Lupe. Es konnte die Naglreiter’sche sein, aber auch jede beliebige andere neue Plätte. „Kann man das größer, genauer anschauen?“, fragte er die Christine. „Ich frag mich nämlich gerade, ob die beiden da auf dem Foto nicht etwas mit unserer Mordermittlung zu tun haben könnten.“ „Sicher!“ Die Christine schnappte sich den Apparat und verschwand im Wohnzimmer. Kurze Zeit später kam sie mit ihrem aufgeklappten Laptop wieder zurück auf die Terrasse und stellte das Gerät vor Gasperlmaier hin. Bildschirmfüllend konnte man nun im späten Abendlicht die Plätte erkennen, und nachdem Gasperlmaier die Lesebrille wieder aufgesetzt hatte, war er sich sicher, dass es die Plätte der Naglreiters war. Die Anordnung der Bänke, die Farbe des Holzes, das war ja doch nicht bei jedem Boot gleich, und Gasperlmaier hatte schließlich heute ausgiebig Gelegenheit gehabt, die Naglreiter’sche Plätte in Augenschein zu nehmen. „Hast schon wieder meine Brille!“ Schon war der Sehbehelf von der Nase des Gasperlmaier verschwunden, und die Plätte auf dem Bildschirm samt ihren Insassen verschwamm vor seinen Augen. „Jetzt gib halt schnell noch einmal her! Das ist wichtig!“ Die Christine zeigte wenig Verständnis für Gasperlmaiers detektivisches Interesse und hielt die Brille unter kindischem Gekicher einmal dahin, einmal dorthin, immer aber außerhalb der Reichweite der Finger Gasperlmaiers. „Bitte!“, ergab er sich schließlich, und die Brille wurde wieder auf seine Nase gesteckt. „Kann man das auch noch weiter vergrößern?“ „Sicher!“ Die Christine rutschte mit ihrem rechten Zeigefinger auf dem Rechteck unterhalb der Tastatur herum und klickte mehrmals mit dem linken Zeigefinger auf die Tasten darunter. Gasperlmaier sah nur noch die Mitte des Bootsrumpfs. „Mit den Pfeiltasten kannst du das Bild verschieben!“, klärte ihn die Christine auf. Gasperlmaier tat es folgsam, und langsam rückte die Frau links im Heck der Plätte ins Bild. Gasperlmaier fühlte einen Stich in der Herzgegend. Die Frau hatte lange blonde Haare und trug ein Dirndl, das dem der Leiche, die sie aus dem See geborgen hatten, aufs Haar glich. Ihr Gesicht konnte Gasperlmaier nicht sehen, es war vom Fotografen abgewandt und vom Haar verdeckt, aber wenn das nicht die Naglreiter war, dann wollte Gasperlmaier gern den sprichwörtlichen Besen fressen. „Die Frau Naglreiter!“, stöhnte er und bemühte sich gleichzeitig, auf die rechte Seite des Bildes zu gelangen, um den Mann ins Bild zu bringen. Der Gaisrucker Marcel war es sicher nicht, denn der Mann hatte viel kürzeres Haar, war vollständig in Tracht gekleidet, mit Lederhose, Stutzen, kariertem Hemd und Gilet, und er trug sogar einen Ausseerhut. Mit Sicherheit vermochte es Gasperlmaier nicht zu sagen, aber der Teufel sollte ihn holen, wenn das nicht der Doktor Naglreiter selber war. Schlagartig wurde ihm die Tragweite seiner Entdeckung klar: Das Foto war, wie die eingeblendete Uhrzeit zeigte, zu einem Zeitpunkt aufgenommen worden, als der Gaisrucker Marcel längst mit den anderen jungen Leuten zusammen gewesen war. Und die Frau Naglreiter war zu diesem Zeitpunkt noch am Leben gewesen. Jedenfalls war der Marcel auf keinen Fall ihr letzter Chauffeur gewesen, was den Einsatz der Plätte betraf. Was Gasperlmaier allerdings verwirrte: Wie hatte Christoph das Foto aufnehmen können? Nach seiner Aussage war er ja zu dieser Zeit gar nicht am Seeufer, sondern zusammen mit der Andrea und auch dem Marcel auf dem Kirtag gewesen. Völlig klar war ihm nur eines: Er musste sofort die Frau Doktor Kohlross anrufen, die womöglich gerade versuchte, aus dem Marcel ein Geständnis herauszupressen. Über das Foto musste sie unverzüglich informiert werden. „Die Frau Doktor Kohlross“, erklärte er der Christine, „die verhört jetzt gerade den Marcel Gaisrucker, weil wir geglaubt haben, er war der Letzte, der mit der Frau Naglreiter zusammen war! Und jetzt haben wir hier ein Foto, das beweist, dass sie danach noch mit jemand anderem im Boot war! Dass es der Naglreiter selber war!“ Die Christine begriff sofort. „Ja, aber – wenn er um diese Zeit, wo es schon fast dunkel ist, mit ihr im Boot war, dann …“ Sie ließ den Satz unvollendet, dennoch war dem Gasperlmaier klar, was sie nicht aussprechen wollte: Wenn es so war, wie
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