Letzter Tanz - Lincoln Rhyme 02
heraus.
Dellray hob eine Augenbraue.
»Er hatte keine Hände mehr, doch welchen Teil seiner Anatomie
hat er mit Sicherheit angefaßt?« »Seinen Penis«, rief Cooper aus. »Wenn er in den letzten zwei
Stunden gepinkelt hat, kriegen wir vermutlich einen Abdruck.« »Wer möchte die ehrenvolle Aufgabe übernehmen?« »Uns ist kein Job zu widerlich«, griente der Techniker und zog ein
weiteres Paar Latexhandschuhe über. Er machte sich mit den Kromekote-Fingerabdruckskarten an die Arbeit und bekam zwei ausgezeichnete Abdrücke - einen Daumen von der Spitze des Penis und einen Zeigefinger vom Schaft.
»Perfekt, Mel.« »Verrat das bloß nicht meiner Freundin«, meinte er schüchtern. Er fütterte die Abdrücke ins AFIS-Suchsystem ein. Auf dem Bildschirm blinkte die Nachricht auf: Bitte warten... bitte warten...
Sei registriert, dachte Rhyme verzweifelt. Bitte sei registriert.
Er war es.
Doch als das Ergebnis kam, starrten Sellitto und Dellray, die
direkt vor Coopers Computer standen, fassungslos auf den Bild
schirm. »Was zum Teufel?« fragte der Detective. »Was?« schrie Rhyme. »Wer ist es?« »Es ist Kall.« »Was?« »Es ist Stephen Kall«, wiederholte Cooper. »Übereinstimmung in
zwanzig Punkten. Es gibt keinen Zweifel.« Cooper suchte den zusammengesetzten Abdruck heraus, den sie zuvor erstellt hatten, um die Identität des Tänzers herauszufinden. Er ließ ihn neben den Kromekotekarten auf den Tisch fallen. »Sie sind identisch.«
Wie war das möglich? fragte sich Rhyme. Wie nur?
»Und was wenn«, setzte Sellitto an. »Also gut, es ist Kalls Abdruck auf dem Schwanz des Kerls. Was, wenn Kall ein Schwanzlutscher ist?«
»Wir haben die genetischen Daten aus Kalls Blut, stimmt's? Von dem Wasserturm?«
»Richtig«, rief Cooper.
»Vergleicht sie«, forderte Rhyme. »Ich will ein Profil der Blutdaten der Leiche. Und zwar sofort.«
Er fand den Namen poetisch. Der »Totentänzer«... das gefällt mir, dachte er. Viel besser als »Jodie« - der Name, den er für diesen Auftrag angenommen hatte, weil er so harmlos klang. Ein dummer Name, ein kleiner Name.
Der Tänzer...
Namen waren wichtig, das wußte er. Er hatte sich mit Philosophie beschäftigt. Der Akt der Benennung -der Bezeichnung -ist allein dem Menschen zu eigen. Der Tänzer sprach nun schweigend zu dem toten, verstümmelten Stephen Kall: Ich war es, von dem du gehört hattest. Ich bin derjenige, der seine Opfer Leichen nennt. Du nennst sie Ehefrauen, Ehemänner, Freunde, wie auch immer.
Doch sobald ich angeheuert bin, sind es für mich einfach nur noch Leichen. Mehr nicht.
Er verließ den Raum, in dem die beiden toten Officers lagen, und ging den düsteren Flur hinunter. Er trug jetzt die Uniform eines U.S. Marshals. Natürlich hatte er Blutflecken nicht ganz vermeiden können, doch in dem trüben Licht dieses Hauses waren die Schatten auf der blauen Uniform kaum zu sehen. Er war auf dem Weg zur Leiche Nummer drei.
Oder der Ehefrau, wenn du so willst, Stephen. Welch eine gestörte, nervöse Kreatur du doch warst. Mit deinen geschrubbten Händen und deinem verwirrten Schwanz. Der Ehemann, die Ehefrau, der Freund...
Infiltriere, evaluiere, delegiere, eliminiere...
Ach, Stephen... ich hätte dir beibringen können, daß es in diesem Geschäft nur eine einzige Regel gibt: Du mußt jeder lebendigen Kreatur immer einen Schritt voraus sein.
Er hatte jetzt zwei Pistolen, aber er würde sie noch nicht benutzen. Es käme ihm nicht in den Sinn, übereilt zu handeln. Wenn er jetzt auch nur stolperte, würde er nie eine weitere Chance bekommen, Percey Clay zu töten, bevor die Grand Jury an diesem Vormittag zusammentrat.
Er glitt lautlos in einen Wachraum, in dem zwei weitere U.S. Marshals saßen. Einer las Zeitung, der zweite schaute fern.
Der erste sah zum Tänzer auf, registrierte die Uniform und wandte sich wieder seiner Zeitung zu. Dann blickte er erneut hoch.
»Warte«, sagte der Marshai, dem plötzlich klar wurde, daß er das Gesicht nicht erkannte.
Doch der Tänzer wartete nicht.
Er antwortete mit einem ritsch-ratsch und durchtrennte seine Halsschlagader. Der Mann fiel nach vorn und starb so leise über Seite sechs der Daily News, daß sein Partner noch nicht einmal den Blick vom Fernsehschirm abwandte, auf dem gerade eine mit dickem Goldschmuck behängte blonde Frau erläuterte, wie sie ihren Freund mit Hilfe eines Hellsehers kennengelernt hatte.
»Warten? Worauf?« fragte der zweite Marshai abwesend, die Augen auf den Fernseher
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