Letzter Tanz - Lincoln Rhyme 02
Familie haben. Manchmal erzähle ich gar nicht, was ich mache. Es ist nicht cool genug. Vor allem nicht hier. In New York, meine ich.«
»Machen Sie sich keine Gedanken darüber. Ich finde, es ist sehr cool, Freund.« Sie nickte zu dem Gitarrenkasten herüber. »Und Musiker sind Sie auch?«
»Nicht wirklich. Freitags helfe ich ehrenamtlich in einem Kindergarten aus. Gebe Musikunterricht. Das ist ein Programm meines Stützpunkts.«
Er schaute wieder hinaus. Blinkende Blaulichter. Ein Streifenwagen raste vorbei. Sie zog ihren Stuhl näher an seinen, und er wurde von ihrem widerlichen Geruch eingehüllt. Es machte ihn wieder ganz kribbelig, und er mußte an Würmer denken, die in ihrem fettigen Haar wimmelten. Fast mußte er kotzen. Er entschuldigte sich für einen Moment und verbrachte drei Minuten damit, seine Hände zu schrubben. Als er zurückkam, fielen ihm zwei Dinge auf: Daß sie den obersten Knopf ihrer Bluse geöffnet hatte und daß auf dem Rücken ihres Pullovers mindestens tausend Katzenhaare klebten. Katzen waren für Stephen Würmer auf vier Beinen.
Er sah, daß draußen die Reihe der Polizisten näher rückte. Stephen schaute auf die Uhr: »Hören Sie, ich muß meinen Kater abholen. Er ist bei -«
»Oh, Sie haben einen Kater? Wie heißt er denn?« Sie lehnte sich vor.
»Buddy.«
Ihre Augen leuchteten. »Oh, so ein Süßer, Süßer. Haben Sie ein Foto?«
Von einer verdammten Katze?
»Nicht bei mir.« Stephen schnalzte bedauernd mit der Zunge.
»Ist der arme Buddy dolle, dolle krank?«
»Nur ein Checkup.«
»Oh, wie gut für Sie. Geben Sie acht auf diese Würmer.«
»Wie meinen Sie das?« fragte er alarmiert.
»Sie wissen schon, Darmwürmer und so.«
»Ach ja, richtig.«
»Hhm, wenn Sie nett sind, Freund« -Sheila sprach wieder in ihrem Singsang -, »dann werde ich Ihnen vielleicht Garfield, Andrea und Essie vorstellen. Eigentlich Esmeralda, aber das würde sie natürlich nie akzeptieren.«
»Es sind bestimmt wunderbare Katzen«, säuselte er und starrte auf die Fotos, die Sheila aus ihrer Brieftasche gezogen hatte. »Ich würde sie zu gern kennenlernen.«
»Wissen Sie was«, platzte sie heraus, »ich wohne nur drei Blocks von hier. In der 81. Straße.«
»Hey, ich habe eine Idee.« Er sah sie strahlend an. »Vielleicht könnte ich diesen Kram hier bei Ihnen abstellen und Ihre Babys an
gucken. Dann könnten Sie mit mir Buddy abholen kommen.« »Okidoki«, rief Sheila begeistert. »Dann lassen Sie uns aufbrechen.« Draußen sagte sie: »Ooooh, sehen Sie nur all die Polizisten. Was
ist da bloß los?«
»Wow. Keine Ahnung.« Stephen schwang den Rucksack über seine Schulter. Metall schepperte. Vielleicht eine Granate, die gegen seine Beretta gerollt war.
»Was ist da drin?«
»Musikinstrumente. Für die Kinder.«
»Oh, Triangel und so?«
»Yeah, Triangel und so.«
»Soll ich Ihre Gitarre tragen?«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
»Hm, ich fände es cool.«
Sie nahm den Fender-Kasten, hakte sich bei ihm unter, und sie
schlenderten an einer Gruppe Polizisten vorbei, die keinen Blick
für das verliebte Paar hatten. Sie gingen einfach immer weiter die Straße hinunter, dabei lachten sie und unterhielten sich über diese verrückten Katzen.
1. Stunde von 45
Thom erschien an Lincoln Rhymes Tür und winkte jemanden herein.
Es war ein sportlich wirkender Mann von Mitte Fünfzig mit einem Bürstenschnitt. Captain Bo Haumann, Chef der ESU, des Spezialeinsatzkommandos des New York Police Departments. Haumann sah mit seinen grauen Haaren und seinem drahtigen Körper wie der typische Ausbildungsoffizier aus, und genau das war er während seines Militärdienstes auch gewesen. Er sprach langsam und bedächtig und schaute seinem Gegenüber dabei unverwandt in die Augen, wobei ein leichtes Lächeln seine Lippen umspielte. Bei taktischen Operationen trug er meistens eine kugelsichere Weste und eine Kapuze aus feuersicherem Nomex. Kam es bei einem Einsatz zu einem gewaltsamen Eindringen, war er normalerweise einer der ersten, der durch die Tür stürmte.
»Ist es wirklich der Tänzer?« fragte der Captain.
»Nach allem, was wir gehört haben, ja«, antwortete Sellitto.
Ein kurzes Schweigen, das bei dem grauhaarigen Polizisten wirkte wie bei anderen ein lauter Seufzer. Schließlich sagte er: »Ich habe zwei 32-E-Teams bereitgestellt.«
Die 32-E-Officers, deren Spitzname von der Bezeichnung ihres Kommandoraums im Polizeihauptquartier herrührte, waren eine nicht ganz so geheime
Weitere Kostenlose Bücher